Erwerb von Rentenanwartschaften
Der gesetzliche Mutterschaftsurlaub muss berücksichtigt werden
(C-356/03 vom 13.01.2005, Mayer)
Der Fall:
Frau Mayer, die heute als selbständige Rechtsanwältin tätig ist, war vom 1. Januar 1990 bis zum 30. September 1999 als Angestellte im öffentlichen Dienst des Bundeslandes Rheinland-Pfalz beschäftigt und bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (im Folgenden: VBL) pflichtversichert. Sie befand sich vom 16. Dezember 1992 bis zum 5. April 1993 und vom 17. Januar bis zum 22. April 1994 im gesetzlichen Mutterschutz.
Die Höhe der Versicherungsrente für Versicherte in einer Situation wie derjenigen von Frau Mayer ergibt sich nach der Satzung der VBL aus einem bestimmten Vomhundertsatz der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte, von denen Umlagen entrichtet worden sind. Nach der genannten Satzung hatte der Arbeitgeber eine monatliche Umlage in Höhe eines bestimmten Teils des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts zu zahlen. Dieses Entgelt war nach der Satzung der steuerpflichtige Arbeitslohn.
Während ihrer Mutterschutzzeiten bezog die Frau Mayer, die privat krankenversichert war, gemäß dem Mutterschutzgesetz das staatliche Mutterschaftsgeld und den vom Arbeitgeber zu leistenden Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe der Differenz zwischen dem staatlichen Mutterschaftsgeld und dem letzten Nettoarbeitsentgelt. Diese Leistung des Arbeitgebers war nach dem Einkommensteuergesetz steuerfrei. Somit hat Frau Mayer während ihrer Mutterschutzzeiten kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt im Sinne der Satzung der VBL bezogen, für das ihr Arbeitgeber monatliche Umlagen hätte zahlen müssen. Infolgedessen berücksichtigte die VBL bei der Berechnung der Versicherungsrente von Frau Mayer die Leistungen nicht, die sie von ihrem Arbeitgeber während der Mutterschutzzeiten bezogen hatte.
Frau Mayer erhob Klage und beantragte, ihre Mutterschutzzeiten bei der Berechnung der Anwartschaft auf die Versicherungsrente, die sie in dem von der VBL verwalteten Zusatzversorgungssystem erworben hatte, zu berücksichtigen.
Der Europäische Gerichtshof verwies darauf, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378/EWG in der durch die Richtlinie 96/97/EWG geänderten Fassung Bestimmungen entgegen steht, die sich unmittelbar oder mittelbar auf das Geschlecht stützen und die Unterbrechung der Aufrechterhaltung oder des Erwerbs von Ansprüchen während eines gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegten Mutterschaftsurlaubs oder Urlaubs aus familiären Gründen, der vom Arbeitgeber bezahlt wird, bewirken.
Laut Gerichtshof umfassen die Ansprüche, auf die sich Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie bezieht, die Anwartschaften auf künftige Renten, deren Erwerb durch die Anwendung nationaler Bestimmungen über den Mutterschaftsurlaub unterbrochen werden könnte. Des weiteren genügt für die Annahme, dass der Urlaub im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der vom Arbeitgeber bezahlt wurde, dass Frau Mayers Mutterschutzzeiten teilweise von ihrem Arbeitgeber bezahlt wurden. Somit steht Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378/EWG in der durch die Richtlinie 96/97/EWG geänderten Fassung einer nationalen Regelung wie denen der Satzung der VBL entgegen, die die Unterbrechung des Erwerbs der Anwartschaften auf eine Versicherungsrente während der Zeiten des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs durch die Aufstellung der Voraussetzung bewirkt, dass die Arbeitnehmerin während dieser Urlaubszeiten steuerpflichtigen Arbeitslohn bezieht.
Die Richtlinie 92/85/EWG findet vorliegend keine Anwendung, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeiten des Mutterschaftsurlaubs vor Ablauf der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Richtlinie gesetzten Frist am 19. Oktober 1994 in Anspruch genommen wurden.
Das Urteil:
Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen entgegensteht, nach denen eine Arbeitnehmerin während des teilweise vom Arbeitgeber bezahlten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente, die Teil eines Zusatzversorgungssystems ist, erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass die Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-356/03: Mayer