Steuerliche Behandlung kapitalbildender Zusatzrentenversicherungen
Die bei einer in anderem Mitgliedstat niedergelassenen Gesellschaft abgeschlossenen Versicherungen dürfen nicht benachteiligt werden
(C-422/01 vom 26.06.2003, Ramstedt)
Der Fall:
Der in Schweden wohnhafte, schwedische Staatsbürger Ola Ramstedt ist bei der Skandia, einem schwedischen Unternehmen, angestellt. Herr Ramstedt hat mit seinem Arbeitgeber Skandia vereinbart, dass ein Teil seiner Rente dadurch gesichert wird, dass die Skandia eine Zusatzrentenversicherung bei einem Versicherungsunternehmen mit Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat abschließt. Nach schwedischem Recht wurde zwischen Renten- und Kapitalmarktversicherungen unterschieden, wobei als Rentenversicherung nur eine bei einem in Schweden niedergelassenen Versicherungsunternehmen abgeschlossene Versicherung angesehen wurde. Hinsichtlich des steuerlichen Abzugsrechts unterlagen die beiden Versicherungsarten unterschiedlichen Vorschriften, was dazu führte, dass die Kapitalmarktversicherungen weniger günstig sein konnten. Die für Herrn Ramstedt abgeschlossene Versicherung wurde vom schwedischen Steuerrechtsausschuss als Kapitalversicherung einstuft.
Laut Europäischem Gerichtshof schränken diese schwedischen Steuervorschriften den freien Dienstleistungsverkehr ein, da sie einerseits die schwedischen Arbeitgeber davon abhalten könnten, Zusatzversicherungen bei Gesellschaften in anderen Mitgliedstaaten als Schweden abzuschließen, und andererseits diese Gesellschaften davon abhalten könnten, ihre Dienste in Schweden anzubieten.
Das Urteil:
Artikel 49 EG steht einer Regelung entgegen, nach der eine Versicherung, die bei einem Versicherungsunternehmen abgeschlossen wird, das in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, und die alle Anforderungen, die das nationale Recht an eine Betriebsrentenversicherung stellt, mit Ausnahme der Bedingung erfüllt, dass sie bei einem im Inland niedergelassenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen ist, steuerlich anders behandelt wird als diese, wenn die Auswirkungen dieser Behandlung auf die Einkommensteuer nach Maßgabe des Einzelfalls weniger günstig sein können.
Die Pressemitteilung:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-422/01:
Försäkringsbolaget Skandia und Ola Ramstedt / Riksskatteverket
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. /03 vom 26. Juni 2003
Die schwedischen Steuervorschriften, die bei einem schwedischen Versicherer abgeschlossene Zusatzrentenversicherungen gegenüber solchen bevorzugen, die bei einem Versicherer abgeschlossen werden, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, sind mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.
Der Gerichtshof ist dem Vorbringen nicht gefolgt, mit dem die schwedische Regierung diese Steuervorschriften rechtfertigen wollte.
Auf dem Gebiet der Zusatzrentenversicherungen, die von einem Arbeitgeber, der die Prämien zahlt, zugunsten eines Arbeitnehmers abgeschlossen werden, unterscheidet das schwedische Recht zwischen Renten- und Kapitalversicherungen. Als Rentenversicherung wird eine Versicherung nur angesehen, wenn sie bei einem in Schweden niedergelassenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen wird.
Die beiden Versicherungsarten unterliegen bei den direkten Steuern unterschiedlichen Vorschriften hinsichtlich des Abzugsrechts, deren Auswirkungen für die Kapitalversicherungen - und folglich für die Zusatzrentenversicherungen, die bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer abgeschlossen werden - weniger günstig sein können. Die vom Arbeitgeber an eine Rentenversicherung gezahlten Prämien sind unmittelbar von dessen steuerpflichtigem Ergebnis abzugsfähig; die Rente, die später ausgezahlt wird, ist beim Arbeitnehmer im Ruhestand voll einkommensteuerpflichtig. Demgegenüber sind die vom Arbeitgeber im Rahmen einer Kapitalversicherung gezahlten Prämien nicht abzugsfähig, aber der Arbeitgeber verfügt über ein Abzugsrecht in Bezug auf diejenigen Beträge, die an den Arbeitnehmer zu zahlen er sich vertraglich verpflichtet hat. Für den Arbeitnehmer stellen die vereinnahmten Beträge ein steuerpflichtiges Arbeitseinkommen dar.
Ola Ramstedt ist schwedischer Staatsbürger, hat seinen Wohnsitz in Schweden und ist bei Skandia angestellt. Herr Ramstedt und Skandia haben vereinbart, dass ein Teil der Rente von Herrn Ramstedt dadurch gesichert wird, dass Skandia eine Zusatzrentenversicherung bei einem Versicherungsunternehmen mit Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat abschließt. Herr Ramstedt und Skandia wollten vom Skatterättsnämnd (Steuerrechtssausschuss) wissen, ob die Versicherung als Rentenversicherung angesehen werde.
Der Skatterättsnämnd teilte mit, dass seiner Ansicht nach die Versicherung nach den schwedischen Vorschriften als Kapitalversicherung angesehen werde.
Herr Ramstedt und Skandia legten gegen diesen Vorbescheid Rechtsmittel beim Regeringsrätt (Oberstes Verwaltungsgericht) ein. Der Regeringsrätt hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine Frage zur Vereinbarkeit der schwedischen Rechtsvorschriften mit den Regeln des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Vorschriften des EG-Vertrages über die Dienstleistungsfreiheit auf diesen Sachverhalt anwendbar seien. Die gemeinschaftsrechtlichen Normen stellten klar, dass Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht würden, als Dienstleistungen gälten. Im vorliegenden Fall stellten die Prämien, die Skandia zahle, die wirtschaftliche Gegenleistung für die Rente dar, die an Herrn Ramstedt gezahlt werde, wenn dieser aus dem Berufsleben ausscheide. Es sei also unerheblich, dass Herr Ramstedt die Prämien nicht selbst entrichte.
Außerdem weist der Gerichtshof darauf hin, dass Steuervorschriften wie die in Schweden in Kraft befindlichen den freien Dienstleistungsverkehr beschränkten. Diese Vorschriften könnten einerseits die schwedischen Arbeitgeber davon abhalten, Zusatzrentenversicherungen bei Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat als Schweden abzuschließen, und andererseits diese Gesellschaften davon abhalten, ihre Dienste auf dem schwedischen Markt anzubieten.
Dem Gerichtshof bleibe somit nur zu prüfen, ob solche Vorschriften gerechtfertigt werden könnten.
Der Gerichtshof hält die Argumente, die die schwedische Regierung hierfür vorgebracht hat, nicht für überzeugend.
Was die Notwendigkeit der Wahrung steuerlicher Kohärenz des nationalen Systems anbelangt, stellt der Gerichtshof fest, dass für diesen Rechtfertigungsgrund ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der von den Versicherern zu zahlenden Beträge bestehen müsse. Ein solcher Zusammenhang fehle im schwedischen System, da der steuerliche Nachteil des Arbeitgebers, der einen ausländischen Versicherer gewählt habe, gegenüber einem Arbeitgeber, der eine vergleichbare Versicherung bei einer schwedischen Gesellschaft abgeschlossen habe, nicht ausgeglichen werde.
Hinsichtlich der Wirksamkeit der Steueraufsicht ist der Gerichtshof der Ansicht, dass diese durch Maßnahmen sichergestellt werden könne, die den freien Dienstleistungsverkehr weniger einschränkten, wie zum Beispiel durch die Richtlinie der Gemeinschaft aus dem Jahr 19771, die in Steuersachen einen Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten vorsehe.
In Bezug auf die Notwendigkeit der Sicherung der Besteuerungsgrundlage des Mitgliedstaats erinnert der Gerichtshof daran, dass ein Steuervorteil, der sich für Dienstleistende aus der geringen steuerlichen Belastung in dem Mitgliedstaat ergebe, in dem sie ansässig seien, einem anderen Mitgliedstaat nicht das Recht gebe, die in seinem Gebiet ansässigen Empfänger der Dienstleistungen steuerlich ungünstiger zu behandeln. Außerdem sei die Notwendigkeit der Vermeidung eines Steuerausfalls kein Grund, der eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen könne.
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1 Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-422/01: Ramsted