Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern
Regelung, die höhere Sozialversicherungsbeiträge für Wanderarbeitnehmer vorsieht, unzulässig
(C-18/95 vom 26.01.1999, Terhoeve)
Der Fall:
Der niederländische Staatsangehörige F. C. Terhoeve wohnte und arbeitete vom 1. Januar bis zum 6. November 1990 im Vereinigten Königreich, da sein Arbeitgeber ihn dorthin abgeordnet hatte. Während Herr Terhoeve seiner Tätigkeit im Vereinigten Königreich nachging, unterlag er zwar nicht der niederländischen Einkommensteuer, war jedoch weiter im niederländischen Pflichtsystem der Sozialversicherung versichert. Nachdem Herr Terhoeve am 7. November 1990 seinen Wohnsitz wieder in die Niederlande verlegt hatte, wurde er für die Zeit bis zum Ende dieses Jahres in den Niederlanden für die Erhebung der Einkommensteuer gebietsansässiger Steuerpflichtiger. Im Jahre 1992 wurden von Herrn Terhoeve Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1 441 HFL für die Zeit, in der er gebietsansässig war, und 9 309 HFL für die Zeit, in der er nicht gebietsansässig war, verlangt. Nach den anwendbaren niederländischen Rechtsvorschriften hätte jedoch ein Steuerpflichtiger, der das ganze Jahr lang gebietsansässig oder nichtgebietsansässig war, Sozialversicherungsbeiträge nur in Höhe des Höchstbetrages von 9 309 HFL entrichten müssen.
Laut Europäischem Gerichtshof verbietet die Arbeitnehmerfreizügigkeit es einem Mitgliedstaat, bei einem Arbeitnehmer, der im Laufe des Jahres seinen Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt hat, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, höhere Sozialversicherungsbeiträge zu erheben, als sie unter gleichen Umständen von einem Arbeitnehmer geschuldet würden, der seinen Wohnort das ganze Jahr über in dem betreffenden Mitgliedstaat beibehalten hat.
Das Urteil:
1. Ein Arbeitnehmer kann sich gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger er ist, auf Artikel 48 EG-Vertrag1 und Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft berufen, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat gewohnt hat und dort einer abhängigen Beschäftigung nachgegangen ist.
2. Artikel 48 EG-Vertrag1 verbietet es einem Mitgliedstaat, bei einem Arbeitnehmer, der im Laufe des Jahres seinen Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt hat, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, höhere Sozialversicherungsbeiträge zu erheben, als sie unter gleichen Umständen von einem Arbeitnehmer geschuldet würden, der seinen Wohnort das ganze Jahr über in dem betreffenden Mitgliedstaat beibehalten hat, wobei der erstgenannte Arbeitnehmer im übrigen keine zusätzlichen Sozialleistungen erhält.
3. Eine -- grundsätzlich gegen Artikel 48 EG-Vertrag1 verstoßende -- höhere Beitragsbelastung für Arbeitnehmer, die ihren Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegen, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, lässt sich weder dadurch rechtfertigen, dass sie sich aus einer auf Vereinfachung und Koordinierung der Erhebung der Einkommensteuer und der Sozialversicherungsbeiträge gerichteten Regelung ergibt, noch durch anderen Erhebungsmodalitäten entgegenstehende technische Schwierigkeiten, noch dadurch, dass in bestimmten Fällen andere mit der Einkommensteuer zusammenhängende Vorteile den Nachteil bei den Sozialbeiträgen ausgleichen oder sogar überkompensieren können.
4. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Belastung mit Sozialbeiträgen, die ein Arbeitnehmer zu tragen hat, der seinen Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt hat, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, höher als diejenige ist, die ein Arbeitnehmer zu tragen hat, der seinen Wohnort im selben Mitgliedstaat beibehalten hat, sind alle nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Bestimmung der Höhe der Beiträge maßgebenden Einkünfte, gegebenenfalls einschließlich der Erträge aus Immobilien, zu berücksichtigen.
5. Arbeitnehmer, die ihren Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegen, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, haben, falls die streitige nationale Regelung mit Artikel 48 EG-Vertrag1 unvereinbar sein sollte, Anspruch auf Festsetzung ihrer Sozialversicherungsbeiträge in gleicher Höhe wie diejenigen Beiträge, die von Arbeitnehmern geschuldet würden, die ihren Wohnort im selben Mitgliedstaat beibehalten haben.
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1 Jetzt Artikel 39 EG.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-18/95: Terhoeve