Besteuerung der Einkünfte von Gebietsfremden
Grundfreibetrag darf unbeschränkt Steuerpflichtigen vorbehalten werden
(C-234/01 vom 12.07.2003, Gerritse)
Der Fall:
Der in den Niederlanden wohnhafte, niederländische Staatsangehörige Arnoud Gerritse erhielt im Jahr 1996 für einen Auftritt als Schlagzeuger bei einem Radiosender in Berlin 6 007,55 DM. Für diesen Auftritt hatte Gerritse Betriebsausgaben in Höhe von 968 DM. Im gleichen Jahr hatte er außerdem Einkünfte in Höhe von insgesamt 55 000 DM in seinem Wohnsitzstaat und in Belgien. Vom Honorar von 6 007,55 DM wurde entsprechend dem Deutsch-Niederländischen Doppelbesteuerungsabkommen und dem deutschen Einkommensteuergesetz ein Anteil von 25 % (d.h. 1 501,89 DM) als pauschale Einkommensteuer abgezogen.
Im September 1998 reichte Herr Gerritse beim zuständigen deutschen Finanzamt eine Einkommensteuererklärung ein, um als unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt zu werden. Das Finanzamt lehnte jedoch eine Veranlagung zur Einkommensteuer mit der Begründung ab, die angegebenen weiteren Einkünfte überschritten die Obergrenze von 12 000 DM. Herr Gerittse erhob daraufhin Klage und machte geltend, ein unbeschränkt steuerpflichtiger Gebietsansässiger in vergleichbarer Situation müsse wegen des Grundfreibetrags in Höhe von 12 095 DM keine Steuer entrichten.
Laut Europäischem Gerichtshof verstößt es gegen die Dienstleistungsfreiheit, wenn beschränkt Steuerpflichtige von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, von ihren zu versteuernden Einkünften die Betriebsausgaben abzuziehen, während unbeschränkt Steuerpflichtigen diese Möglichkeit zugestanden wird. Was den Grundfreibetrag angeht, ist es legitim, diese Vergünstigung Personen, die ihr zu versteuerndes Einkommen im Wesentlichen im Besteuerungsstaat erzielt haben, also in der Regel Inländern vorzubehalten, denn sie dient einer sozialen Zielsetzung, da sie die Möglichkeit bietet, den Steuerpflichtigen ein von jeder Einkommensbesteuerung freies Existenzminimum zu sichern.
Der angewandte Steuersatz von 25 % ist rechtmäßig, solange er nicht höher ist als derjenige, der sich bei Anwendung des progressiven Steuertarifs ergeben würde.
Das Urteil:
1. Die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) stehen einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, nach der in der Regel bei Gebietsfremden die Bruttoeinkünfte, ohne Abzug der Betriebsausgaben, besteuert werden, während bei Gebietsansässigen die Nettoeinkünfte, nach Abzug der Betriebsausgaben, besteuert werden.
2. Dagegen stehen diese Artikel des EG-Vertrags einer solchen nationalen Regelung nicht entgegen, soweit nach ihr in der Regel die Einkünfte Gebietsfremder einer definitiven Besteuerung zu einem einheitlichen Steuersatz von 25 % durch Steuerabzug unterliegen, während die Einkünfte Gebietsansässiger nach einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag besteuert werden, sofern der Steuersatz von 25 % nicht höher ist als der Steuersatz, der sich für den Betroffenen tatsächlich aus der Anwendung des progressiven Steuertarifs auf die Nettoeinkünfte zuzüglich eines Betrages in Höhe des Grundfreibetrags ergeben würde.