Besteuerung des Einkommens von Gebietsfremden

Steuervergünstigungen können in der Regel Gebietsansässigen vorbehalten bleiben
(C - 279/93 vom 14.02.1995, Schumacker)

Der Fall:

Der belgische Staatsangehörige Roland Schumacker übte von Mai 1988 bis Dezember 1989 eine nichtselbständige Beschäftigung in Deutschland aus. Sowohl während dieser Zeit als auch davor hat er mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern immer in Belgien gewohnt. Seine Ehefrau, die arbeitslos war, bezog nur während des Jahres 1988 in Belgien Arbeitslosengeld. Seit 1989 bildete das Gehalt von Herrn Schumacker das einzige Einkommen der Familie.

Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Belgien von 1967 steht das Recht der Besteuerung des Gehalts von Herrn Schumacker seit Mai 1988 der Bundesrepublik Deutschland als Beschäftigungsstaat zu. Beschränkt Steuerpflichtige, wie Herr Schumacker, wurden gemäß dem damals geltenden deutschen Steuerrecht ungeachtet ihres Familienstandes in die Steuerklasse I eingereiht. Im Gegensatz zu in Deutschland wohnenden Ehepaaren kamen ihnen so bestimmte Steuervergünstigungen nicht zugute. Insbesondere konnten Gebietsfremde nicht von dem sog. "Splitting-Verfahren" profitieren, nach dem die Gesamteinkünfte der Ehegatten zusammengerechnet und sodann fiktiv jedem Ehegatten zu 50 % zugerechnet und entsprechend besteuert werden. Das Splitting-Verfahren führt zu einer steuerlichen Entlastung von Ehepaaren mit unterschiedlich hohem Einkommen.

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass sich die in einem Mitgliedstaat ansässigen Personen und Gebietsfremde im Hinblick auf die direkten Steuern in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Das Einkommen, das ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erziele, stelle meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte dar, deren Schwerpunkt an seinem Wohnort liege. Außerdem könne die persönliche Steuerkraft des Gebietsfremden, die sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen Lage und seines Familienstandes ergebe, am leichtesten an dem Ort beurteilt werden, an dem der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen und seiner Vermögensinteressen liege. Dieser Ort ist in der Regel der ständige Aufenthaltsort der betroffenen Person. Versage ein Mitgliedstaat Gebietsfremden bestimmte Steurvergünstigungen, die er Gebietsansässigen gewähre, liege nur dann eine unzulässige Unterscheidung vor, wenn der Gebietsfremde wie Herr Schumacker in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerte Einkünfte habe und sein zu versteuerndes Einkommmen im Wesentlichen aus einer Tätigkeit beziehe, die er im Beschäftigungsstaat ausübe, so dass der Wohnsitzstaat nicht in der Lage sei, ihm die Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen Lage und seines Familienstandes ergeben.

Das Urteil:

1) Artikel 48 EWG-Vertrag1 ist so auszulegen, daß er das Recht eines Mitgliedstaats, die Voraussetzungen und die Modalitäten der Besteuerung der in seinem Hoheitsgebiet von Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats erzielten Einkünfte festzulegen, insoweit einschränken kann, als er es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der in Ausübung seines Rechts auf Freizuegigkeit im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates eine nichtselbständige Beschäftigung ausübt, bei der Erhebung der direkten Steuern schlechter zu behandeln als einen eigenen Staatsangehörigen, der sich in der gleichen Lage befindet.

2) Artikel 48 des Vertrages1 ist so auszulegen, daß er der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, in dem er auch wohnt, und der im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates eine nichtselbständige Beschäftigung ausübt, höher besteuert wird als ein Arbeitnehmer, der im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates wohnt und dort die gleiche Beschäftigung ausübt, wenn wie im Ausgangsverfahren der Staatsangehörige des zweitgenannten Mitgliedstaats sein Einkommen ganz oder fast ausschließlich aus der Beschäftigung erzielt, die er im ersten Mitgliedstaat ausübt, und im zweitgenannten Mitgliedstaat keine ausreichenden Einkünfte erzielt, um dort einer Besteuerung unterworfen zu werden, bei der seine persönliche Lage und sein Familienstand berücksichtigt werden.

3) Artikel 48 des Vertrages1 ist so auszulegen, daß er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats im Bereich der direkten Steuern entgegensteht, die Verfahren wie den Lohnsteuer-Jahresausgleich und die Einkommensteuerveranlagung durch die Verwaltung nur für Gebietsansässige vorsehen und natürliche Personen, die im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dort jedoch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen, davon ausschließen.  

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1 Jetzt Artikel 39 EG.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-279/93:
Finanzamt Köln-Altstadt / Roland Schumacker