Weitergabe von Einkommensdaten von Arbeitnehmern
Veröffentlichung dieser Daten kann mit Gemeinschaftsrecht vereinbar sein
(C-465/00, C-138/01 und C-139/01 vom 20.05.2003, Österreichischer Rundfunk u.a.)
Der Fall:
Dem österreichischen Gesetz zufolge müssen bestimmte Einrichtungen des öffentlichen Rechts dem Rechnungshof die von ihnen an Arbeitnehmer gezahlten Bezüge mitteilen, sobald sie einen gewissen Betrag überschreiten. Die Offenlegung der Namen der Betroffenen ist zwar gesetzlich nicht vorgesehen, wird aber für erforderlich gehalten. Diese Daten werden in einen Jahresbericht aufgenommen, der unter anderem der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird. Der Österreichische Rundfunk (ORF) und weitere Einrichtungen übermitteln die Einkommensdaten nicht oder nur ohne die Namen der Arbeitnehmer an den Rechnungshof, wobei sie sich auf eine Gemeinschaftsrichtlinie zum Schutz personenbezogener Daten aus dem Jahr 1995.
Zwei Arbeitnehmer des ORF, Frau Neukomm und Herr Lauermann, beantragten bei den österreichischen Gerichten, dem ORF die Übermittlung der vom Rechnungshof angeforderten Daten zu untersagen.
Laut Europäischem Gerichtshof stellt die Weitergabe von Daten über die Bezüge von Arbeitnehmern an Dritte einen Eingriff in die Privatsphäre im Sinne von Art. 8 EMRK dar, der nur gerechtfertigt werden könne, wenn er gesetzlich vorgesehen sei, eines der in diesem Artikel genannten berechtigten Ziele verfolge und in einer demokratischen Gesellschaft für die Erreichung dieses Ziels notwendig sei. Dieser Eingriff sei zwar im österreichischen Gesetz vorgesehen, jedoch sei es Sache der nationalen Gerichte zu prüfen, ob die im Gesetz nicht vorgesehene Offenlegung der Namen der Betroffenen dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit entspreche.
Das Urteil:
1. Die Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c und 7 Buchstaben c und e der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr stehen einer nationalen Regelung wie der den Ausgangsverfahren zugrunde liegenden nicht entgegen, sofern erwiesen ist, dass die Offenlegung, die nicht nur die Höhe der Jahreseinkommen der Beschäftigten von der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträgern betrifft, wenn diese Einkommen einen bestimmten Betrag überschreiten, sondern auch die Namen der Bezieher dieser Einkommen umfasst, im Hinblick auf das vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung der öffentlichen Mittel notwendig und angemessen ist, was die vorlegenden Gerichte zu prüfen haben.
2. Die Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c und 7 Buchstaben c und e der Richtlinie 95/46 sind in dem Sinne unmittelbar anwendbar, dass sich ein Einzelner vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts zu verhindern.
Die Pressemitteilung:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen C-465/00, C-138/01 und C-139/0: Österreichischer Rundfunk u. a.
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 41/03 vom 20. Mai 2003
Die Weitergabe von Einkommensdaten von Arbeitnehmern Öffentlicher Einrichtungen zum Zweck der Veröffentlichung in einem Jahresbericht kann mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein.
Voraussetzung dafür ist, dass die Weitergabe im Hinblick auf das Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung öffentlicher Mittel notwendig und angemessen ist. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob hierfür die Offenlegung der Namen erforderlich ist oder ob eine anonymisierte Weitergabe der Daten ausreicht.
Nach österreichischem Recht müssen die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträger1 diesem die von ihnen an die Arbeitnehmer und Ruhegehaltsempfänger gezahlten Bezüge und Ruhebezüge mitteilen, soweit sie einen bestimmten Betrag überschreiten (dieser Betrag wird jährlich festgesetzt und belief sich beispielsweise im Jahr 2000 auf 82 430,18 Euro). Die Offenlegung der Namen der Betroffenen ist zwar im österreichischen Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, wird jedoch von der Lehre, der sich der Rechnungshof angeschlossen hat, für erforderlich gehalten. Der Rechnungshof nimmt diese Daten in einen Jahresbericht auf, der dem Nationalrat, dem Bundesrat und den Landtagen übermittelt wird. Dieser Bericht wird auch der Allgemeinheit zugänglich gemacht.
Verschiedene Einrichtungen - u. a. der ORF und weitere öffentliche Unternehmen, Gebietskörperschaften und eine gesetzliche Interessenvertretung - übermittelten die Einkommensdaten nicht oder nur ohne die Namen der Arbeitnehmer an den Rechnungshof. Sie stützten sich hierfür auf eine Gemeinschaftsrichtlinie über den Schutz personenbezogener Daten aus dem Jahr 1995. Der Rechnungshof rief den Verfassungsgerichtshof an, um eine Entscheidung über diese Meinungsverschiedenheit zu erhalten (C-465/00).
Zwei Arbeitnehmer des ORF - Frau Neukomm und Herr Lauermann - beantragten bei den österreichischen Gerichten, dem ORF die Übermittlung der vom Rechnungshof angefordertenDaten zu untersagen. Gegen die Zurückweisung dieser Anträge legten sie Revisionsrekurs beim Obersten Gerichtshof ein.
Die beiden österreichischen Gerichte legten dem Gerichtshof zwei Fragen vor: Ist die österreichische Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht (insbesondere mit der Richtlinie von 1995) vereinbar, und sind ihre Bestimmungen in dem Sinne unmittelbar anwendbar, dass sich die Parteien auf sie berufen können, um die Anwendung zwingender Vorschriften des nationalen Rechts zu verhindern?
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Gemeinschaftsrichtlinie zwar als Hauptziel die Gewährleistung des freien Verkehrs personenbezogener Daten anstrebe, dabei jedoch den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Mitgliedstaaten verlange.
Die Aufnahme von Einkommensdaten in Verbindung mit den Namen der Empfänger in einen Jahresbericht erfülle den Tatbestand der "Verarbeitung personenbezogener Daten". Zu den gemeinschaftsrechtlich geschützten Grundrechten gehörten u.a. die in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewährleisteten Rechte. Die EMRK gehe zwar vom Grundsatz des Verbotes behördlicher Eingriffe in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privatlebens aus, lasse jedoch solche Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen zu (Artikel 8 EMRK).
Die Weitergabe von Daten über die Bezüge von Arbeitnehmern oder Ruhegehaltsempfängern durch den Arbeitgeber an Dritte stelle einen Eingriff in die Privatsphäre im Sinne von Artikel 8 EMRK dar, der nur gerechtfertigt werden könne, wenn er gesetzlich vorgesehen sei, eines der in diesem Artikel genannten berechtigten Ziele verfolge und in einer demokratischen Gesellschaft für die Erreichung dieses Zieles notwendig sei.
Hierzu stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass der Eingriff im österreichischen Gesetz vorgesehen sei. Allerdings hätten die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die (im Gesetz nicht vorgesehene) Offenlegung der Namen der Betroffenen dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit entspreche. Der Zweck des Eingriffs bestehe darin, die sparsame und sachgerechte Verwendung öffentlicher Mittel durch die Verwaltung sicherzustellen, was ein berechtigter Zweck im Sinne von Artikel 8 EMRK sei, der auf das "wirtschaftliche Wohl des Landes" abstelle. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit hätten die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Namen der Betroffenen in Verbindung mit deren Einkünften notwendig sei und ob es nicht ausreichen würde, die Öffentlichkeit nur über die Bezüge und andere geldwerte Vorteile zu unterrichten, auf die die betroffenen Beschäftigten vertraglich Anspruch hätten.
Sollten die vorlegenden Gerichte die österreichische Regelung für unvereinbar mit der EMRK halten, so kann sie nach Auffassung des Gerichtshofes auch nicht mit der Gemeinschaftsrichtlinie in Einklang stehen. Sollten die Gerichte dagegen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Regelung im Hinblick auf das mit ihr verfolgte, im Allgemeininteresse liegende Ziel sowohl notwendig als auch angemessen sei, so hätten sie weiter zu prüfen, ob die Regelung dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit entspreche, obwohl sie nicht ausdrücklich die Offenlegung der Namen der Betroffenen vorsehe.
Zu der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit der Gemeinschaftsrichtlinie stellt der Gerichtshof fest, die Bestimmungen der Richtlinie seien so genau, dass sich ein Einzelner vor den nationalen Gerichten auf sie berufen könne, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des internen Rechts zu verhindern.
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1 Der Gebarungskontrolle durch den Rechnungshof unterliegen die Gebietskörperschaften, die Sozialversicherungsträger, die gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen, der Österreichische Rundfunk (ORF), der eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ist, sowie andere öffentliche Unternehmen.