Ableistung von Überstunden
Verpflichtung zur Ableistung ist dem Arbeitnehmer schriftlich mitzuteilen
(C-350/99 vom 08.02.2001, Lange)
Der Fall:
Der deutsche Staatsangehörige Wolfgang Lange war seit Juni 1998 bei der Georg Schünemann GmbH als Dreher beschäftigt. Bezüglich der Ableistung von Überstunden enthielt sein Arbeitsvertrag keine Regelung. Aufgrund seiner Weigerung, Überstunden zu leisten, wurde Herrn Lange zum 15. Januar 1999 gekündigt. Im Arbeitsgerichtsprozess stritt er mit seinem ehemaligen Arbeitgeber darüber, welche Vereinbarung bei Einstellung Herrn Langes in Bezug auf Überstunden getroffen wurde.
Laut Europäischem Gerichtshof ist nach der Richtlinie über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen eine Vereinbarung, nach der der Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden auf bloße Anweisung des Arbeitgebers verpflichtet sei, zu den Bedingungen, von denen der Arbeitgeber schriftlich in Kenntnis zu setzen sei. Diese Unterrichtung könne auch in Form eines Hinweises auf geltende Tarifvertragsbestimmungen erfolgen. Ist der betreffende Arbeitnehmer nicht von der jeweiligen Bedingung schriftlich in Kenntnis gesetzt worden, so gebietet die Richtlinie jedoch nicht deren Unwirksamkeit. Diese kann sich vielmehr aus nationalen Rechtsbestimmungen ergeben.
Das Urteil:
1. Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe i der Richtlinie 91/533/EWG des Rates vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen ist dahin auszulegen, dass er die Leistung von Überstunden nicht erfasst. Aus Artikel 2 Absatz 1 dieser Richtlinie folgt jedoch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer von einer - einen wesentlichen Punkt des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses darstellenden - Vereinbarung in Kenntnis zu setzen, wonach der Arbeitnehmer auf bloße Anordnung des Arbeitgebers zur Leistung von Überstunden verpflichtet ist. Diese Unterrichtung muss gemäß den für die in Artikel 2 Absatz 2 dieser Richtlinie ausdrücklich genannten Angaben geltenden Bedingungen erfolgen. Gegebenenfalls kann sie entsprechend der u. a. bezüglich der normalen Arbeitszeit geltenden Regelung des Artikels 2 Absatz 3 dieser Richtlinie in Form eines Hinweises auf die einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. Satzungs- oder Tarifvertragsbestimmungen erfolgen.
2. Keine Bestimmung der Richtlinie 91/533 gebietet es, einen wesentlichen Punkt des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses, der nicht oder nicht hinreichend genau in einem dem Arbeitnehmer ausgehändigten Schriftstück aufgeführt ist, als unwirksam zu betrachten.
3. Im Fall der Nichterfüllung der durch die Richtlinie eingeführten Unterrichtungspflicht durch den Arbeitgeber wird dem nationalen Gericht durch die Richtlinie 91/533 weder vorgeschrieben noch verboten, die Grundsätze des nationalen Rechts anzuwenden, die eine Beweisvereitelung annehmen, wenn eine Prozesspartei gesetzlichen Dokumentationspflichten nicht nachgekommen ist.
Die Pressemitteilung:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-350/99: Wolfgang Lang/Georg Schünemann GmbH
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 03/01 vom 08.02.2001
Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer über dessen Verpflichtung zur Leistung von Überstunden unterrichten.
Nach Auffassung des Gerichtshofes stellt die Verpflichtung zur Leistung von Überstunden auf bloße Anordnung des Arbeitgebers einen wesentlichen Punkt des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses dar, der dem Arbeitnehmer schriftlich mitzuteilen ist.
Der Kläger war seit dem 1. Juni 1998 bei der Beklagten als Dreher beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 23. April 1998 enthielt keine Angaben über die Leistung von Überstunden.
Da der Kläger Überstunden verweigerte, die sein Arbeitgeber im Hinblick auf die termingemäße Erfüllung von Kundenaufträgen angeordnet hatte, kündigte dieser am 15. Dezember 1998 den Arbeitsvertrag zum 15. Januar 1999.
Vor dem vom Kläger angerufenen Arbeitsgericht Bremen streiten die Parteien darüber, welche Vereinbarung bei Einstellung des Klägers in Bezug auf Überstunden getroffen wurde.
Das deutsche Gericht hat den Gerichtshof zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts betreffend die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen befragt. Muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von einer Vereinbarung in Kenntnis setzen, die den Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden auf bloße Anordnung des Arbeitgebers verpflichtet?
Nach Auffassung des Gerichtshofes legt die betreffende Richtlinie eine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers fest, den Arbeitnehmer über alle wesentlichen Punkte des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses zu unterrichten. Die in der Richtlinie enthaltene Liste dieser Punkte sei nicht abschließend. Daher gehöre eine Vereinbarung, nach der der Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden auf bloße Anordnung des Arbeitgebers verpflichtet sei, zu den Bedingungen, von denen der Arbeitnehmer schriftlich in Kenntnis zu setzen sei.
Diese Unterrichtung könne wie die Unterrichtung über die normale Arbeitszeit gegebenenfalls in Form eines Hinweises auf die Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. die Satzungs- oder Tarifvertragsbestimmungen erfolgen.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass keine Bestimmung der Richtlinie es gebiete, einen wesentlichen Punkt (hier die Leistung von Überstunden), über den der Arbeitnehmer nicht in Kenntnis gesetzt worden sei, als unwirksam zu betrachten. Die Unwirksamkeit dieses Punktes folge nicht zwingend aus diesem Versäumnis, da den Mitgliedstaaten die Befugnis verblieben sei, die im Fall der fehlenden Unterrichtung des Arbeitnehmers über einen wesentlichen Punkt des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses geltenden Sanktionen zu bestimmen.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-350/99: Lange