Befristete Arbeitsverträge in der öffentlichen Verwaltung
Missbräuchlicher Einsatz führt grundsätzlich nicht zu unbefristetem Arbeitsvertrag
(C-180/04 vom 07.09.2006, Vassalo)
Der Fall:
Der italienische Staatsangehörige Andrea Vassalo war bei der Krankenanstalt Krankenhaus San Martino in Genua und vertragsgebundene Universitätskliniken (im Folgenden: Krankenanstalt) aufgrund zweier aufeinanderfolgender befristeter Verträge als Koch beschäftigt. Der erste der Verträge betraf den Zeitraum vom 5. Juli 2001 bis 4. Januar 2002, und der zweite, der am 2. Januar 2002 unterzeichnet wurde, verlängerte diesen Zeitraum bis zum 11. Juli 2002. Der zweite Vertrag mit Herrn Vassalo wurde nach Vertragsende von der Krankenanstalt nicht verlängert. Als Herr Vassalo nach Vertragsende an seinem Arbeitsplatz erschien, sprach die Krankenanstalt eine förmliche Kündigung aus. Herr Vassalo focht daraufhin die Kündigung vor dem Tribunale di Genova (Italien) an und beantragte gemäß dem italienischen Gesetzesdekret Nr. 368/ 2001, festzustellen, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit der Krankenanstalt bestehe, und diese zur Zahlung des geschuldeten Arbeitsentgelts und zum Ersatz des entstandenen Schadens zu verurteilen. Nach diesem Gesetzesdekret, das die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge in italienisches Recht umsetzt, gilt bei zwei aufeinanderfolgenden befristeten Einstellungen, d. h. solchen, bei denen kein Bruch der Kontinuität der Beschäftigung eintritt, der Arbeitsvertrag vom Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Vertrages an als unbefristet. Sinn und Zweck dieses Dekrets ist es somit, dass bei missbräuchlichem Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse im Privatsektor diese in unbefristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse umgewandelt werden.
Die Krankenanstalt vertrat hingegen die Auffassung, dass das Gesetzesdekret Nr. 368/ 2001 keine Anwendung finde, da die italienische öffentliche Verwaltung nach Artikel 36 des Rechtsdekrets Nr. 165/ 2001 keine unbefristeten Arbeitsverträge abschließen dürfe. Demnach schließt Artikel 36 des Rechtsdekrets Nr. 165/ 2001 aus, dass der missbräuchliche Einsatz von befristeten Arbeitsverträgen oder -verhältnissen durch einen Arbeitgeber des öffentlichen Sektors zu einer Begründung von unbefristeten Arbeitsverhältnissen führt. Der betroffene Arbeitgeber hat dann jedoch Anspruch auf Schadensersatz.
Laut Europäischem Gerichtshof verbietet es die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge den Mitgliedstaaten an für sich nicht, den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, ob sie mit einem Arbeitgeber des Privatsektors oder mit einem Arbeitgeber des öffentlichen Sektors begründet worden sind. Allerdings kann eine nationale Regelung, die nur im öffentlichen Sektor die Umwandlung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Vertrag untersagt, nur dann als mit der Rahmenvereinbarung vereinbar angesehen werden, wenn das innerstaatliche Recht des betreffenden Mitgliedstaats in diesem Sektor eine andere wirksame Maßnahme enthält, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern und gegebenenfalls zu bestrafen. Ein Anspruch auf Schadensersatz, wie es die italienische Regelung vorsieht, stellt eine solche Maßnahme dar.
Das Urteil:
Die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999 im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die bei missbräuchlichem Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse durch einen Arbeitgeber des öffentlichen Sektors ausschließt, dass diese in unbefristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse umgewandelt werden, während eine solche Umwandlung bei Arbeitsverträgen oder -verhältnissen mit einem Arbeitgeber des Privatsektors vorgesehen ist, grundsätzlich nicht entgegensteht, sofern diese Regelung eine andere wirksame Maßnahme enthält, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge durch einen Arbeitgeber des öffentlichen Sektors zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-180/04: Vassalo