Berechnung des Mindestlohns bei Arbeitnehmerentsendung
Zulagen und Zuschläge müssen nicht zwingend berücksichtigt werden
(C-341/02 vom 14.04.2005, Kommission/ Bundesrepublik Deutschland)
Der Fall:
Die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen verlangt von den Mitgliedstaaten eine Koordinierung ihrer Gesetze, um ein gewisses Mindestmaß an Schutz für entsandte Arbeitnehmer zu gewährleisten. Dazu gehören insbesondere Bestimmungen über den Mindestlohn. Wenn in einem Mitgliedstaat ein Mindestlohn vorgesehen ist, so haben auch die dorthin entsandten Arbeitnehmer einen Anspruch darauf. Dabei ist es jedoch Sache der Mitgliedstaaten, durch ihre nationalen Rechtsvorschriften den Begriff des Mindestlohns zu bestimmen.
Am 25. September 2002 verklagte die EG- Kommission die Bundesrepublik dafür, dass es abgesehen vom Bauzuschlag sämtliche von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer des Baugewerbes gezahlten Zulagen oder Zuschläge nicht als Bestandteile des Mindestlohns anerkenne. Dies führe wegen der abweichenden Methode der Lohnberechnung in anderen Mitgliedstaaten zu höheren Lohnkosten für Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten, die so daran gehindert würden, ihre Dienste in Deutschland anzubieten.
Laut Europäischem Gerichtshof müssen die Mitgliedstaaten bei der Berechnung des Mindestlohns nicht zwingend Zulagen berücksichtigen, die ein Arbeitnehmer, der Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen leistet, als einen Ausgleich für diese zusätzliche Leistung erhält.
Das Urteil:
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen verstoßen, dass sie – abgesehen vom Bauzuschlag – die von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer des Baugewerbes gezahlten Zulagen oder Zuschläge, die nicht das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändern, nicht als Bestandteile des Mindestlohns anerkennt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Pressemitteilung:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-341/02: Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Bundesrepublik Deutschland
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 34/05 vom 14. April 2005
Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, bei der Kontrolle der Zahlung des Mindestlohns an aus einem anderen Mitgliedstaat entsandte Arbeitnehmer sämtliche Zulagen und Zuschläge zu berücksichtigen.
Qualitätsprämien und Schmutz-, Erschwernis- oder Gefahrenzulagen sind keine Lohnbestandteile, die bei der Berechnung des Mindestlohns zwingend zu berücksichtigen sind.
Die Verwirklichung des Binnenmarkts bietet einen dynamischen Rahmen für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen. Tatsächlich entsenden immer mehr Unternehmen Arbeitnehmer für eine zeitlich begrenzte Arbeitsleistung in einem anderen Mitgliedstaat als den, in dem sie normalerweise ihre Arbeit verrichten. Der grenzüberschreitende Charakter der Arbeitsverhältnisse wirft jedoch Fragen in Bezug auf das hierauf anwendbare Recht auf.
Die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen ist in der Richtlinie 96/711 geregelt. Sie soll für fairen Wettbewerb sorgen und die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer garantieren. Hierzu müssen die Gesetze der Mitgliedstaaten koordiniert werden, um einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz festlegen, das im Gastland von Arbeitgebern zu gewährleisten ist, die Arbeitnehmer in einen Mitgliedstaat entsenden, in dem eine Dienstleistung zu erbringen ist. Zu diesem Kern gehören insbesondere die Bestimmungen über den Mindestlohn. Sieht ein Mitgliedstaat einen Mindestlohn vor, gilt dieser daher auch für die entsandten Arbeitnehmer. Der Begriff des Mindestlohns wird durch die Rechtsvorschriften und Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in den der Arbeitnehmer entsandt wird.
Im Jahr 2002 hat die Kommission gegen Deutschland eine Vertragsverletzungsklage wegen bestimmter Teile der deutschen Regelung im Bereich der Arbeitnehmerentsendung erhoben. Diese Klage betrifft insbesondere die Vereinbarkeit der von Deutschland angewandten Methode für den Vergleich zwischen dem in den deutschen Bestimmungen festegelegten Mindestlohn und dem Lohn, den der Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich zahlt, mit der Richtlinie 96/71.
Die Kommission wirft Deutschland vor, dass es abgesehen vom Bauzuschlag sämtliche von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmers des Baugewerbes gezahlten Zulagen oder Zuschläge nicht als Bestandteile des Mindestlohns anerkenne. Diese Nichtberücksichtigung führe - wegen der abweichenden Methode der Lohnberechnung in anderen Mitgliedstaaten - zu höheren Lohnkosten für Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten, die so daran gehindert würden, ihre Dienste in Deutschland anzubieten.
Deutschland weist diesen Vorwurf zurück und macht insoweit geltend, Arbeitsstunden, die außerhalb der üblichen Arbeitszeit geleistet würden, die besonders hohen Anforderungen an die Qualität des Ergebnisses genügen müssten oder die mit besonderen Erschwernissen und Gefahren verbunden seien, hätten im Vergleich zur Normalarbeitsstunde wirtschaftlich höheren Wert, und die hierfür gezahlten Zulagen dürften bei der Berechnung des Mindestlohns nicht berücksichtigt werden. Würden die entsprechenden Beiträge bei der Berechnung berücksichtigt, so würde dem Arbeitnehmer der wirtschaftliche Gegenwert dieser Arbeitsstunden vorenthalten und das Verhältnis zwischen dem vom Arbeitgeber geschuldeten Lohn und der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistung zum Nachteil des Arbeitnehmers verändert. Deutschland stützt sich auf die Richtlinie 96/71, wonach es Sache der Mitgliedstaaten sei, den Mindestlohn zu bestimmen.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften stellte zunächst fest, dass die Parteien sich darüber einig sind, dass gemäß der Richtlinie das Entgelt für Überstunden, die Beiträge für zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme, die als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandenen Kosten gezahlten Beiträge und Pauschalbeiträge, die nicht auf Stundenbasis berechnet werden, nicht als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt werden dürfen. Abzustellen ist auf den Bruttolohn.
Während des Vertragsverletzungsverfahrens hat Deutschland mehrere Änderungen seiner Rechtsvorschriften erlassen und vorgeschlagen, die nach Feststellung des Gerichtshofes geeignet sind, verschiedene Unstimmigkeiten zwischen dem deutschen Recht und der Richtlinie zu beseitigen. Es handelt sich insbesondere um die Berücksichtigung der vom Arbeitgeber gezahlten Zulagen oder Zuschläge, die bei der Berechnung des Mindestlohns nicht das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändern, und die Berücksichtigung des 13. Und des 14. Monatsgehalts unter bestimmten Bedingungen. Da diese Änderungen jedoch zu spät erfolgt waren, um vom Gerichtshof berücksichtigt werden zu können, nämlich nach Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, stellte der Gerichtshof insoweit eine Vertragsverletzung fest.
Schließlich stellte der Gerichtshof fest, dass es völlig normal ist, dass der Arbeitnehmer, der auf Verlangen des Arbeitgebers ein Mehr an Arbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen leistet, einen Ausgleich für diese zusätzliche Leistung erhält, ohne dass sich dies auf die Berechnung des Mindestlohns auswirkt´. Nach Auffassung des Gerichtshofes erfordert die Richtlinie nicht, dass ein solcher Ausgleich (der, wenn er bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt wird, das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung verändert) als Bestandteil des Mindestlohns angesehen wird. Insoweit weist der Gerichtshof die Klage der Kommission daher ab.
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1 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1).