Unternehmensübergang auf den Staat
Ansprüche der Arbeitnehmer sind auch dann zu wahren, wenn ein privates Unternehmen auf den Staat übergeht
(C-425/02 vom 11.11.2004, Boor)
Der Fall:
Frau Johanna Maria Delahaye, verheiratete Boor, war bei Foprogest ASBL (Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht) (im Folgenden: Foprogest) beschäftigt. Ihre Vergütung war nicht in einem Kollektivvertrag geregelt. Der Zweck von Foprogest bestand u. a. in der Förderung und Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen, durch die die soziale und berufliche Situation von Arbeitslosen und Arbeitssuchenden verbessert werden sollte, um ihre berufliche Eingliederung oder Wiedereingliederung zu ermöglichen. Die Mittel dieser Vereinigung stammten im Wesentlichen aus Zuschüssen, Spenden und Vermächtnissen. Die Tätigkeit von Foprogest wurde auf den luxemburgischen Staat übertragen. Die damit übernommene Tätigkeit wird nunmehr in Form eines öffentlichen Verwaltungsdienstes ausgeübt. Mit Wirkung vom 1. Januar 2000 wurde Frau Delahaye als Angestellte des luxemburgischen Staates eingestellt. Auch andere zuvor bei Foprogest beschäftigte Arbeitnehmer wurden vom Staat übernommen. Dieser Vorgang führte zum Abschluss neuer Arbeitsverträge zwischen dem Staat und den betroffenen Arbeitgebern. Nach der großherzoglichen Verordnung über die Vergütung der staatlichen Angestellten bezog Frau Delahaye seither eine geringere Vergütung, als sie nach dem ursprünglich mit Foprogest geschlossenen Vertrag erhalten hatte. Sie wurde vom luxemburgischen Staat ohne Berücksichtigung ihres Dienstalters in die letzte Gehaltsstufe eingestuft, was dazu führte, dass sie 37 % ihres Monatsgehaltes einbüßte. Nach der Richtlinie 77/187/EWG, die durch Artikel 36 und 37 des Gesetzes über den Arbeitsvertrag in luxemburgisches Recht umgesetzt worden ist, soll die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleistet werden. Frau Delahaye und der luxemburgische Staat streiten darüber, ob auch der Staat gehalten ist, nach der fraglichen Übertragung alle Rechte des Personals, die sich aus dem Arbeitsvertrag zwischen den Arbeitnehmern und dem Veräußerer ergeben, und insbesondere auch den Vergütungsanspruch aufrechtzuerhalten.
Laut Europäischem Gerichtshof schließt es die Richtlinie 77/187/EWG aus, dass im Fall des Unternehmensübergangs von einer juristischen Person des Privatrechts auf den Staat dieser als neuer Arbeitgeber eine Kürzung der Vergütung der betroffenen Arbeitgeber vornimmt, um den geltenden nationalen Vorschriften nachzukommen. Es verstoße gegen den Geist dieser Richtlinie, wenn der vom Veräußerer übernommene Angestellte in der Weise behandelt würde, dass seinem Dienstalter nicht Rechnung getragen wird, soweit die nationalen Vorschriften, die die Situation der staatlichen Angestellten regeln, das Dienstalter des staatlichen Angestellten bei der Berechnung seiner Vergütung berücksichtigen.
Das Urteil:
Die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass sie es grundsätzlich nicht ausschließt, dass im Fall des Unternehmensübergangs von einer juristischen Person des Privatrechts auf den Staat dieser als neuer Arbeitgeber eine Kürzung der Vergütung der betroffenen Arbeitnehmer vornimmt, um den geltenden nationalen Vorschriften bezüglich der öffentlichen Angestellten nachzukommen. Die zuständigen Behörden, die diese Vorschriften anzuwenden und auszulegen haben, sind jedoch verpflichtet, dies so weit wie möglich im Licht der Zielsetzung dieser Richtlinie zu tun, indem sie insbesondere dem Dienstalter des Arbeitnehmers Rechnung tragen, soweit die nationalen Vorschriften, die die Situation der staatlichen Angestellten regeln, das Dienstalter des staatlichen Angestellten bei der Berechnung seiner Vergütung berücksichtigen. Falls diese Berechnung zu einer wesentlichen Kürzung der Vergütung des Betroffenen führt, stellt eine solche Kürzung eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil der von dem Übergang betroffenen Arbeitnehmer dar, so dass nach Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 77/187 davon auszugehen ist, dass die Beendigung ihres Arbeitsvertrags aus diesem Grund durch den Arbeitgeber erfolgt ist.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-425/02: Boor