Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers
Anträge auf Garantieleistungen im Hinblick auf die Erfüllung von Arbeitsentgeltansprüchen dürfen grds. einer Ausschlussfrist unterliegen
(C-125/01 vom 18.09.2003, Pflücke)
Der Fall:
Herr Pflücke war bis zu seiner Kündigung mit Wirkung zum 30. Juni 1997 als Maurer bei einer Baufirma in Deutschland beschäftigt. Seine ehemalige Arbeitgeberin, von der er noch die Zahlung seines Arbeitsentgelts für den Monat Juni 1997 forderte, stellte ihre Betriebstätigkeit am 31. Dezember 1997 vollständig ein. Am 2. Januar 1998 wurde ein Konkursverfahren über ihr Vermögen eröffnet.
Nach deutschem Recht hätte sich Herr Pflücke wegen seines ausstehenden Arbeitsentgeltanspruchs nur an die zuständige Garantieeinrichtung, d. h. die Bundesanstalt für Arbeit, halten können, wenn er die Zahlung von Konkursausfallgeld binnen zwei Monaten nach Konkurseröffnung, also in der Zeit vom 3. Januar bis zum 2. März 1998, beantragt hätte.
In diesem Zeitraum stellte Herr Pflücke aber keinen entsprechenden Antrag. Vielmehr meldete sein damaliger Prozessbevollmächtigter nur am 2. Februar 1998 den ausstehenden Arbeitsentgeltanspruch des Klägers beim Konkursgericht an. Weil der Konkursverwalter den Entgeltanspruch zunächst der Höhe nach bestritt, beantragte Herr Pflücke erst am 9. Juni 1999 bei der Bundesanstalt für Arbeit die Zahlung von Konkursausfallgeld.
Diese lehnte den Antrag ab. Sie machte geltend, Herrn Pflücke könne kein Konkursausfallgeld bewilligt werden, da er es nicht fristgemäß beantragt habe. Ihm könne auch die in den einschlägigen deutschen Regelungen für den Fall einer unverschuldeten Fristversäumnis vorgesehene Nachfrist nicht eingeräumt werden, weil sein Prozessbevollmächtigter Kenntnis vom Insolvenzereignis gehabt habe. Dass die Höhe der Entgeltforderung zunächst streitig gewesen sei, rechtfertige Herrn Pflückes Fristversäumnis nicht, da der Antrag auf Konkursausfallgeld vorsorglich und ohne Kosten gestellt werden könne.
Laut Europäischem Gerichtshof ist eine Ausschlussfrist zur Geltendmachung der Befriedung von offenen Ansprüchen auf Arbeitsentgelt durch die Garantieeinrichtung mit der Richtlinie 80/987/EWG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vereinbar, solange diese Frist nicht weniger günstig ist als bei gleichartigen innerstaatlichen Anträgen und sie nicht so kurz ist, dass es dem Betroffenen in der Praxis nicht gelingt, sie einzuhalten.
Was vorliegend die Nachfristgewährung für den Fall eines Nichtvertretenmüssens der Fristversäumnis betrifft, darf die zuständige Stelle im Rahmen der Verschuldensprüfung nicht übermäßig streng beurteilen, ob der Betroffene sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat.
Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung muss das betreffende nationale Gericht die innerstaatliche Vorschrift, die die Ausschlussfrist vorsieht, unangewendet lassen, wenn es feststellt, dass sie nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
Das Urteil:
1. Die Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers steht der Anwendung einer Ausschlussfrist nicht entgegen, binnen deren ein Arbeitnehmer nach nationalem Recht einen Antrag auf Zahlung von Konkursausfallgeld nach Maßgabe dieser Richtlinie stellen muss, wenn die betreffende Frist nicht weniger günstig ist als bei gleichartigen innerstaatlichen Anträgen (Grundsatz der Gleichwertigkeit) und nicht so ausgestaltet ist, dass sie die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Grundsatz der Effektivität).
2. Das nationale Gericht muss die innerstaatliche Vorschrift, die die Ausschlussfrist vorsieht, unangewendet lassen, wenn es feststellt, dass sie nicht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts entspricht und auch nicht gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden kann.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-125/0: Pflücke