Anerkennung eines Ingenieurdiploms
Auch eine partielle und begrenzte Anerkennung beruflicher Qualifikationen ist möglich
(C-330/03 vom 19.01.2006, Imo)
Der Fall:
Der italienische Staatsangehörige Giuliano Mauro Imo ist Inhaber eines Diploms eines Wasserbauingenieurs, das in Italien erteilt wurde und dort das Recht verleiht, den Beruf des Wasserbauingenieurs auszuüben. Im Juni 1996 stellte er beim spanischen Ministerium für Inlandsentwicklung einen Antrag auf Anerkennung seines Diploms, um in Spanien Zugang zum Beruf des Ingenieurs für Wege-, Kanal- und Hafenbau zu erhalten. Diesem Antrag wurde ohne jede Vorbedingungen stattgegeben.
Dagegen erhob die Kammer der Wege-, Kanal- und Hafenbauingenieure Anfechtungsklage und machte geltend, dass sowohl im Hinblick auf den Inhalt der Ausbildung als auch in Bezug auf die jeweils umfassten Tätigkeiten ein grundlegender Unterschied zwischen dem Beruf des Ingenieurs für Wege-, Kanal- und Hafenbau in Spanien und dem des Wasserbauingenieurs in Italien bestehe. Diese Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das nationale Gericht aus, dass das Diplom eines Wasserbauingenieurs in Italien das Recht auf Zugang zu demselben Beruf verleihe wie dem des Ingenieurs für Wege-, Kanal- und Hafenbau in Spanien. Außerdem schließe die Ausbildung, die der Inhaber des italienischen Diploms eines Wasserbauingenieurs erhalten habe, die Grundlagenfächer ein, die in Spanien für den betreffenden Zweig des Ingenieurberufs verlangt würden.
Das nächsthöhere Gericht, bei dem die Ingenieurskammer gegen die Klageabweisung Beschwerde eingelegt hatte, ging wiederum davon aus, dass zwischen den beiden fraglichen Ausbildungen erhebliche inhaltliche Unterschiede bestünden. Es fragte sich, ob man einem Sachverhalt wie dem vorliegenden mit einer partiellen Genehmigung, beschränkt auf die Tätigkeiten, zu denen das betreffende Diplom in dem Ausstellungsmitgliedstaat Zugang gewährt, gerecht werden könnte.
Dagegen machte die spanische Regierung geltend, dass eine partielle Anerkennung der beruflichen Qualifikationen grundsätzlich eine Aufspaltung der in einem Mitgliedstaat reglementierten Berufe in verschiedene Tätigkeiten bewirken könnte. Dies würde letztlich für die Dienstleitungsempfänger zur Gefahr von Verwirrung führen, da sie über den Umfang dieser Qualifikationen in die Irre geführt werden könnten.
Laut Europäischem Gerichtshof müssen zwei Fallgruppen unterschieden werden.
In Fällen, in denen der Beruf im Heimatstaat dem im Aufnahmestaat so ähnlich ist, dass etwaige Ausbildungslücken durch kleinere Anpassungsmaßnahmen geschlossen werden können, ist der Aufnahmestaat nicht zu einer partiellen Anerkennung beruflicher Qualifikationen verpflichtet.
Sind aber die Unterschiede zwischen den Tätigkeitsbereichen so gravierend, dass die Anwendung einer Ausgleichs- oder Anpassungsmaßnahme letztlich darauf hinausliefe, dass der Betroffene eine neue Berufsausbildung erwerben müsste, ist zu prüfen, ob bestimmte Tätigkeiten objektiv von der Gesamtheit der Tätigkeiten getrennt werden können, die der Beruf im Aufnahmestaat umfasst. Der Schutz der Verbraucher könnte dann mit der Verpflichtung, die ursprüngliche Berufsbezeichnung sowohl in der Sprache, in der sie erteilt wurde, und in der ursprünglichen Form als auch in der Amtssprache der Aufnahmestaats zu führen, gewährleistet werden.
Das Urteil:
1. Die Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, verwehrt es den Behörden eines Mitgliedstaats, bei denen der Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Diploms einen Antrag auf Genehmigung des Zugangs zu einem reglementierten Beruf in diesem Mitgliedstaat stellt, nicht, dem Antrag auf entsprechendes Ersuchen des Inhabers des Diploms teilweise stattzugeben, indem sie den Geltungsbereich der Genehmigung auf die Tätigkeiten beschränken, zu denen das betreffende Diplom in dem Mitgliedstaat, in dem es erworben wurde, Zugang gewährt.
2. Die Artikel 39 EG und 43 EG verwehren es einem Mitgliedstaat nicht, den partiellen Zugang zu einem Beruf zu versagen, soweit die Lücken, die die Ausbildung des Antragstellers gegenüber derjenigen aufweist, die im Aufnahmestaat verlangt wird, durch Anwendung der in Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 89/48 vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen wirksam geschlossen werden können. Dagegen verwehren es die Artikel 39 EG und 43 EG einem Mitgliedstaat, diesen partiellen Zugang zu verweigern, wenn der Betroffene ihn beantragt und die Unterschiede zwischen den Tätigkeitsbereichen so erheblich sind, dass in Wirklichkeit eine vollständige Ausbildung absolviert werden müsste, es sei denn, die Verweigerung des partiellen Zugangs ist durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt, die zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sind und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-330/03: Imo