Sprachbescheinigung als Einstellungsvoraussetzung
Unzulässig, wenn Bescheinigung nur von einer Provinz der EU ausgestellt wird
(C - 281/98 vom, 06.06.2000, Angonese)
Der Fall:
Roman Angonese, ein italienischer Staatsangehöriger deutscher Muttersprache, hat sein Studium in Österreich absolviert. Danach bewarb er sich für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren für eine Stelle bei einer privaten Bank in Bozen (italien). Bedingung für die Zulassung zum Auswahlverfahren war der Besitz einer nur von der öffentlichen Verwaltung in Bozen nach einer nur dort stattfindenden Prüfung ausgestellten Bescheinigung über die Zweisprachigkeit (Italienisch/Deutsch). Die Antragsfrist für die Teilnahme am Auswahlverfahren betrug weniger als zwei Monate, zwischen den schriftlichen und mündlichen Prüfungen für die Sprachbescheinigung war ein Mindestabstand von 30 Tagen vorgesehen und die jährlich stattfindenden Prüfungstermine waren zahlenmäßig beschränkt. Daher brachte Herr Angonese die Bescheinigung nicht bei und wurde deshalb im Bewerbungsverfahren nicht berücksichtigt, obwohl er beide Sprachen perfekt beherrscht.
Laut Europäischem Gerichtshof kann es zwar legitim sein, von einem Bewerber um eine Stelle Sprachkenntnisse eines bestimmten Niveaus zu verlangen, es muss jedoch als unverhätlnismäßig angesehen werden, wenn es unmöglich ist, den Nachweis dieser Kenntnisse auf andere Weise als durch die genannte Bescheinigung, insbesondere durch andere in anderen Mitgliedstaaten erlangte, gleichwertige Qualifikationen zu erbringen.
Das Urteil:
Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) steht dem entgegen, dass ein Arbeitgeber die Bewerber in einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Personal verpflichtet, ihre Sprachkenntnisse ausschließlich durch ein einziges in einer einzigen Provinz eines Mitgliedstaats ausgestelltes Diplom nachzuweisen.
Die Pressemitteilung:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-281/98: Roman Angonese / Cassa die Risparmo die Bolzano SpA
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs Nr. 41/2000
Ein Privatunternehmen darf als Voraussetzung für die Einstellung nicht den Besitz einer Bescheinigung über Zweisprachigkeit vorschreiben, die nur von einer Provinz der Union ausgestellt wird
Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der jede Diskriminierung aufrgund der Staatsangehörigkeit verbietet, gilt nicht nur für den Staat, sondern auch für Privatunternehmen
Roman Angonese, ein in der Provinz Bozen wohnender italienischer Staatsangehöriger deutscher Muttersprache, begab sich zwischen 1993 und 1997 nach Österreich, um dort sein Studium fortzusetzen.
Im August 1997 bewarb er sich auf eine in der italienischen Tageszeitung "Dolomiten" am 9. Juli 1997 veröffentlichte Anzeige für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren für eine Stelle bei einer privaten Bankgesellschaft in Bozen, der Cassa di Risparmo.
Zu den Bedingungen für die Zulassung zum Auswahlverfahren gehörte der Besitz einer Bescheinigung über die Zweisprachigkeit (Iatlienisch/Deutsch).
Diese Bescheinigung wird von einer öffentlichen Verwaltung an einem einzigen Prüfungsort, der Provinz Bozen, ausgestellt. Bei den in dieser Provinz wohnenden Bürger ist es üblich, sich die Bescheinigung für jeden denkbaren Fall im Hinblick auf die Arbeitssuche zu beschaffen. Der Erwerb dieser Bescheinigung wird nämlich als ein praktisch zwangsläufiger Schritt in einer normalen Ausbildung angesehen.
Am 4. September 1997 teilte die Cassa die Risparmo Herrn Angonese mit, dass er nicht am Auswahlverfahren teilnehmen könne, weil er die Bescheinigung nicht vorgelegt habe.
Herr Angonese beantragte bei der Pretura Bozen, die Bedingung, wonach der Besitz der Bescheinigung für die Teilnahme am Auswahlverfahren zwingend vorgeschrieben ist, für rechtswidrig zu erklären. Er ist nämlich der Auffassung, diese Bedingung stehe im Widerspruch zu dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Die Pretura Bozen fragt den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ob diese Bedingung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass der Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen umfasst.
Der Gerichtshof stellt dann fest, dass dieses Verbot nicht nur für staatliche Behörden, sondern auch für Privatpersonen gilt. Der Gerichtshof prüft schließlich, ob eine von einem privaten Arbeitgeber aufgestellte Verpflichtung, wonach der Zugang zu einem Arbeitsplatz von dem Besitz eines einzigen Diploms abhängig gemacht wird, ein Hindernis für die Freizügigkeit darstellt.
Der Gerichtshof führt aus, dass Personen, die nicht in der Provinz wohnen, nur sehr wenige Möglichkeiten besitzen, diese Qualifikation zu erwerben, und damit einen Arbeitsplatz zu erhalten.
Somit sind nicht nur die nicht in dieser Provinz wohnenden italienischen Staatsangehörigen, sondern vor allem die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt. Die Maßnahme ist folglich diskriminierend.
Es erscheint dem Gerichtshof daher als - gemessen an dem Ziel, die Einstellung von qualifiziertem Personal zu ermöglichen - unverhältnismäßig, wenn es für einen Bewerber unmöglich ist, den Nachweis seiner sprachlichen Qualifikation anders als durch die Vorlage einer einzigen, nur in einer Provinz eines Mitgliedstaats ausgestellten Bescheinigung zu erbringen.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-281/98: Angonese