Facharztausbildung in anderem Mitgliedstaat
Der Aufnahmestaat ist berechtigt, das Führen der Ausbildungsbezeichnung in einer anderen Sprache zu genehmigen
(C-16/99 vom 14.09.2000, Erpelding)
Der Fall:
Herrn Jeff Erpelding wurde 1985 von der Universität Innsbruck das österreichische Diplom eines „Doktors der gesamten Heilkunde" verliehen, welches ihm im April 1986 vom luxemburgischen Bildungsministerium anerkannt wurde. Im April 1991 erteilte die Österreichische Ärztekammer Herrn Erpelding die Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines „Facharztes für Innere Medizin". Der luxemburgische Gesundheitsminister erlaubte ihm im August 1991, in Luxemburg den Beruf eines Facharztes für Innere Medizin auszuüben. Im Mai 1993 wurde Herrn Erpelding das Diplom „Facharzt für Innere Medizin - Teilgebiet Kardiologie" von den österreichischen Behörden erteilt. Im April 1997 teilte Herr Erpelding dem luxemburgischen Gesundheitsminister mit, dass er sich ausschließlich der Kardiologie widmen wolle und daher bereit sei, auf seine Berufsbezeichnung „Facharzt für Innere Medizin" zu verzichten, wenn ihm erlaubt werde, die Bezeichnung eines „Facharztes für Kardiologie" zu führen. Dies wurde ihm mit der Begründung verwehrt, dass die Disziplin Kardiologie kein von den österreichischen Behörden anerkanntes Fachgebiet darstelle. Außerdem stehe es dem Minister nicht zu, ausländische Diplome umzuschreiben. Die Diplome könnten nur in ihrer jeweiligen sprachlichen Fassung anerkannt werden.
Laut Europäischem Gerichtshof ist das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat (Luxemburg) die Bezeichnung Arzt oder Facharzt in der Sprache und entsprechend der Nomenklatur dieses Staates zu führen, zwangsläufig die logische Folge der gegenseitigen Anerkennung der Diplome aufgrund der Gemeinschaftsrichtlinie 93/16/EWG. Dieses Recht setzt jedoch voraus, dass das betreffende Diplom im Verzeichnis der Diplome in der Gemeinschaftsrichtlinie enthalten ist, was für das Diplom von Herrn Erpelding nicht zutrifft. Der Gerichtshof ist somit zu dem Ergebnis gekommen, dass die Richtlinie den Ärzten das Recht zuerkennt, ihre Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls deren Abkürzung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaates zu führen, wobei der Aufnahmestaat im Übrigen berechtigt bleibt, in seinem Gebiet das Führen einer Ausbildungsbezeichnung oder einer gleichwertigen Bezeichnung in einer anderen Sprache zu genehmigen.
Das Urteil:
. Ein Arzt, der ein in einem anderen Mitgliedstaat erworbenes Facharztdiplom vorweisen kann, das aber in dem Verzeichnis der Facharztausbildungen in Artikel 7 der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise nicht aufgeführt ist, kann sich nicht auf Artikel 19 dieser Richtlinie berufen, um die im Aufnahmemitgliedstaat bestehende entsprechende Berufsbezeichnung eines Facharztes zu führen.
2. Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 93/16 ist dahin auszulegen, dass er nur das Recht der Personen, die durch das mit dieser Richtlinie eingeführte System der gegenseitigen Anerkennung der Diplome begünstigt werden, zum Führen ihrer Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls der entsprechenden Abkürzung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaates betrifft, ohne dass dadurch die Möglichkeit des Aufnahmemitgliedstaats beeinträchtigt wird, in seinem Gebiet das Führen einer Ausbildungsbezeichnung oder einer gleichwertigen Bezeichnung in einer anderen Sprache als der des Heimat- oder Herkunftsstaates zu gestatten.
Die Pressemitteilung:
Urteile des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen C-238/98 und C-16/99: Hugo Fernando Hocsman / Ministre de l'Emploi et de la Solidarité und Jeff Erpelding / Ministre de la Santé
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 59/00 vom 14. September 2000
Der Gerichtshof ergänzt seine Rechtsprechung zur gegenseitigen Anerkennung der Arztdiplome zwischen den Mitgliedstaaten.
Der Gerichtshof prüft die Situation eines Gemeinschaftsangehörigen, der in Argentinien ein Arztdiplom erworben hat und in Frankreich tätig sein will, sowie die Situation eines luxemburgischen Arztes, der seine Ausbildung in Österreich absolviert hat.
Der ursprünglich argentinische Staatsangehörige HOCSMAN ist Inhaber eines 1976 von der Universität Buenos Aires (Argentinien) ausgestellten Diploms eines Doktors der Medizin. Er ist auch Inhaber eines 1982 von der Universität Barcelona (Spanien) ausgestellten Diploms eines Facharztes für Urologie. Herr Hocsman erwarb 1986 die spanische Staatsangehörigkeit und ist seit 1998 französischer Staatsbürger. Das argentinische Diplom von Herrn Hocsman wurde 1980 als dem spanischen Hochschulabschluss in Medizin und Chirurgie gleichwertig anerkannt. Herr Hocsman konnte damit in Spanien den Arztberuf ausüben und eine Facharztausbildung absolvieren. Wie sich aus mehreren Bescheinigungen ergibt, war Herr Hocsman eine Reihe von Jahren in Spanien tätig. Seit 1990 nahm er als Mitarbeiter oder beigeordneter Assistent in verschiedenen französischen Krankenhäusern die Aufgaben eines Facharztes für urologische Chirurgie wahr.
Am 27. Juni 1997 versagte der französische Minister für Beschäftigung und Solidarität Herrn Hocsman seine Zulassung zur nationalen ärztlichen Standesorganisation mit der Begründung, dass sein argentinisches Diplom nach französischem Recht nicht zur Ausübung des Arztberufs in Frankreich berechtige.
Der luxemburgische Staatsangehörige ERPELDING ist seit 1985 Inhaber eines von der Universität Innsbruck (Österreich) verliehenen Arztdiploms. Dieses Diplom wurde am 11. April 1986 vom luxemburgischen Bildungsministerium anerkannt. Der luxemburgische Gesundheitsminister erlaubte Herrn Erpelding am 29. August 1991 ebenfalls, in Luxemburg den Beruf eines Facharztes für Innere Medizin auszuüben, da Letzterer am 10. April 1991 von den zuständigen österreichischen Behörden die Genehmigung zur Ausübung dieser Facharzttätigkeit erhalten hatte. Die österreichischen Behörden erteilten Herrn Erpelding das Diplom eines Facharztes für Innere Medizin - Teilgebiet Kardiologie.
Am 25. April 1997 versagte der luxemburgische Gesundheitsminister Herrn Erpelding das Führen der Bezeichnung eines Facharztes für Kardiologie, da diese Disziplin als Fachrichtung nicht von den österreichischen Behörden anerkannt sei. Die luxemburgischen Behörden könnten nämlich die Diplome nur in ihrer Originalfassung anerkennen, und die von Herrn Erpelding genannte Fachrichtung (Kardiologie) sei als solche vom Ausbildungsstaat des Betroffenen nicht anerkannt.
Die mit den Rechtsstreitigkeiten befassten nationalen Gerichte (im Fall Hocsman: Tribunal administratif Châlons-en-Champagne; im Fall Erpelding: Tribunal administratif de Luxembourg) haben dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen nach verschiedenen Aspekten der Gemeinschaftsvorschriften über die Anerkennung der Diplome vorgelegt.
Der Gerichtshof hat festgestellt, dass mit den Harmonisierungsrichtlinien über die gegenseitige Anerkennung u.a. der ärztlichen Diplome ein System habe eingeführt werden sollen, das die Mitgliedstaaten zur Anerkennung der Gleichwertigkeit bestimmter Diplome verpflichte und ihnen untersage, von den Betroffenen die Einhaltung anderer Bedingungen zu verlangen als die, die in den einschlägigen Richtlinien festgelegt seien.
Eine solche gegenseitige Anerkennung mache es überflüssig, dass die Aufnahmemitgliedstaaten im Falle von Personen, die die in den Anerkennungsrichtlinien angeführten Bedingungen erfüllten, für die Anerkennung ihrer Diplome eventuell auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zurückgriffen, die dieser für Sachverhalte entwickelt habe, die nicht von der Richtlinie erfasst würden.
Nach dieser Rechtsprechung müssen die nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Arztdiploms befasst sind,
- wenn die Ausübung der betreffenden Facharzttätigkeit vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation abhängt, sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen berücksichtigen und
- die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen.
Der Gerichtshof betont, dass diese Rechtsprechung einen den Grundfreiheiten des Vertrages innewohnenden Grundsatz zum Ausdruck bringe.
Der Gerichtshof ist somit zu dem Ergebnis gekommen, dass das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht prüfen müsse, ob das von Herrn Hocsman erworbene Diplom als dem entsprechenden französischen Diplom gleichwertig anzuerkennen sei: Insbesondere sei zu prüfen, ob die Anerkennung des argentinischen Diploms von Herrn Hocsman in Spanien als dem spanischen Hochschulabschluss in Medizin und Chirurgie gleichwertig auf der Grundlage von Kriterien erfolgt sei, die mit denjenigen vergleichbar seien, die im Rahmen der Richtlinie 93/16 den Mitgliedstaaten gewährleisten sollten, dass sie auf die Qualität der von anderen Mitgliedstaaten erteilten Arztdiplome vertrauen könnten.
Im Übrigen hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat die Bezeichnung Arzt oder Facharzt (in der Sprache und entsprechend der Nomenklatur dieses Staates) zu führen, zwangsläufig die logische Folge der gegenseitigen Anerkennung der Diplome aufgrund der Gemeinschaftsrichtlinie sei. Dieses Recht setze jedoch voraus, dass das betreffende Diplom im Verzeichnis der Diplome in der Gemeinschaftsrichtlinie enthalten sei. Dies treffe für das Diplom von Herrn Erpelding nicht zu, da die Fachrichtung Kardiologie als solche in Österreich nicht bestehe. Der Gerichtshof ist somit zu dem Ergebnis gekommen, dass die Richtlinie dahin auszulegen sei, dass sie den Ärzten das Recht zuerkenne, ihre Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls deren Abkürzung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaates zu führen, wobei der Aufnahmestaat im Übrigen berechtigt bleibe, das Führen der betreffenden Bezeichnung in einer anderen Sprache zu genehmigen.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-16/99: Erpelding