Keine Abfindungszahlung bei Kündigung durch den Arbeitnehmer
Derartige nationale Regelungen beeinträchtigen die Freizügigkeit nicht
(C - 190/98 vom 27.01.2000, Graf)
Der Fall:
Der deutsche Staatsangehörige Volker Graf kündigte 1996 seinen mit der österreichischen Firma Filzmoser Maschinenbau GmbH 1992 geschlossenen Arbeitsvertrag, um in Deutschland arbeiten zu können. Seine Forderung nach einer Abfindungszahlung lehnte die Filzmoser GmbH unter Verweis auf das österreische Angestelltengesetz ab. Demgemäß hat ein Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsvertrag selbst kündigt, keinen Anspruch auf Zahlung einer Kündigungsabfindung. Eine solche steht nur dem Arbeitnehmer zu, dem ohne sein Zutun durch den Arbeitgeber gekündigt wird.
Laut Europäischem Gerichtshof sind derartige nationale Abfindungsregeln mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
Das Urteil:
Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der ein Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis selbst kündigt, um in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbständige Tätigkeit auszuüben, keinen Anspruch auf eine Abfertigung (Kündigungsabfindung) hat, während einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis endet, ohne daß er selbst diese Beendigung herbeigeführt oder zu vertreten hat, eine derartige Abfertigung zusteht.
Die Pressemitteilung:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-190 /98: Volker Graf / Filzmoser Maschinenbau GmbH
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs Nr. 3/00 vom 27. Januar 2000
Freizügigkeit - Ein Arbeitnehmer, der den Arbeitsvertrag kündigt, kann nicht unter Berufung auf die Freizügigkeit eine Kündigungsabfindung vom Arbeitgeber verlangen.
Die österreichischen Rechtsvorschriften, die die Zahlung einer Kündigungsabfindung im Fall der Kündigung des Arbeitsvertrags durch den Arbeitnehmer ausschließen, verstoßen nicht gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Nach dem österreichischen Angestelltengesetz steht dem Angestellten bei Auflösung des Dienstverhältnisses eine Abfertigung (Kündigungsabfindung) zu. Der Anspruch auf Abfertigung besteht jedoch nicht, wenn der Angestellte kündigt, wenn er ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder wenn ihn ein Verschulden an der vorzeitigen Entlassung trifft.
Der Kläger Volker Graf kündigte mit Schreiben vom 29. Februar 1996 den am 3. August 1992 mit der beklagten Filzmoser Maschinenbau GmbH geschlossenen Arbeitsvertrag, um nach Deutschland überzusiedeln und dort ab 1. Mai 1996 eine neue Beschäftigung aufzunehmen. Die Beklagte weigerte sich, dem Kläger die von diesem nach den österreichischen Rechtsvorschriften geforderte Abfertigung in Höhe von zwei Monatsentgelten zu zahlen. Der Kläger verklagte seinen ehemaligen Arbeitgeber beim Landesgericht Wels auf Zahlung der Abfertigung. Er machte insbesondere geltend, daß die Vorschrift, die den Anspruch auf die Abfertigung im Fall der Kündigung des Vertrages durch den Arbeitnehmer ausschließe, eine spürbare Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne des Urteils des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93 (Bosman) darstelle.
Das Landesgericht Wels wies die Klage mit Urteil vom 4. Februar 1998 ab.
Das mit der Berufung gegen dieses Urteil befaßte Oberlandesgericht Linz hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, bei Beendigung seines Dienstverhältnisses nur deshalb keinen Abfertigungsanspruch hat, weil er dieses Dienstverhältnis durch Kündigung selbst aufgelöst hat, um in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbständige Tätigkeit auszuüben.
Der Gerichtshof antwortet, daß das Gemeinschaftsrecht einer derartigen nationalen Regelung nicht entgegensteht.
Er weist darauf hin, daß diese Regelung unabhängig von der Staatsangehörigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anwendbar sei und daß die Abfertigung jedem Arbeitnehmer versagt werde, der den Arbeitsvertrag selbst beende, um eine unselbständige Tätigkeit bei einem neuen Arbeitgeber aufzunehmen, unabhängig davon, wo dieser seinen Sitz habe. Deshalb berühre diese Regelung ausländische Arbeitnehmer nicht in stärkerem Maße als inländische und drohe nicht, vor allem die ersteren zu benachteiligen.
Der Gerichtshof führt aus, eine derartige Regelung sei nicht geeignet, den Arbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, sein Arbeitsverhältnis zu beenden, um eine unselbständige Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber auszuüben. Der Abfertigungsanspruch hänge nicht von der Entscheidung des Arbeitnehmers ab, ob er bei seinem derzeitigen Arbeitgeber bleibe oder nicht, sondern von einem zukünftigen hypothetischen Ereignis, nämlich einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die der Arbeitnehmer selbst weder herbeigeführt noch zu vertreten habe. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer werde nicht beeinträchtigt durch Rechtsvorschriften, die eine solche Abfertigung nur im Fall des Eintretens eines ungewissen und indirekt wirkenden Ereignisses gewährten, nicht dagegen, wenn der Arbeitnehmer selbst den Arbeitsvertrag beende.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-190/98:
Volker Graf / Filzmoser Maschinenbau GmbH