Entschädigungsregelung für das Ausscheiden von in der Landwirtschaft tätigen Arbeitnehmern
Wohnortvoraussetzung für Gewährung einer sozialen Vergünstigung unzulässig
(C-57/96 vom 27.11.1997, Meints)
Der Fall:
Herr Meints, ein deutscher Staatsangehöriger, war in einem landwirtschaftlichen Betrieb in den Niederlanden beschäftigt, wohnte aber in Deutschland. Im Zuge von Flächenstillegungsmaßnahmen seines früheren Arbeitgebers wurde er arbeitslos und bezog in Deutschland Arbeitslosenunterstützung. Er beantragte bei den niederländischen Behörden eine Entschädigungsleistung nach der niederländischen Entschädigungsregelung für das Ausscheiden von in der Landwirtschaft tätigen Arbeitnehmern. Hierbei handelte es sich um eine einmalige Leistung, die Teil eines Systems von Maßnahmen zur Verbesserung der Struktur des Agrarsektors war, wobei das Hauptgewicht auf der Förderung der teilweisen oder vollständigen Betriebseinstellung und des Ausscheidens von Unternehmern lag.
Die Höhe der Entschädigungsleistung richtete sich ausschließlich nach dem Alter des Berechtigten.
Voraussetzung für die Leistungsgewährung war, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf niederländische Arbeitslosenunterstützung hatte, was wiederum einen Wohnsitz in den Niederlanden voraussetzte.
Ging ein von der Entschädigungsleistung Begünstigter innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein Arbeitsverhältnis mit seinem früheren Arbeitgeber ein, war die erhaltene Leistung zurückzuzahlen.
Herr Meints Antrag auf die Entschädigungsleistung wurde mit der Begründung abgelehnt, dass er, da er seinen Wohnsitz nicht in den Niederlanden habe, keinen Anspruch auf niederländische Arbeitslosenunterstützung habe und damit nicht die Voraussetzungen der Entschädigungsregelung erfülle.
Herr Meints erhob Klage und machte geltend, dass es gegen die Verordnung (EWG) Nr. 1408/1 oder die Verordnung (EWG) Nr. 1612768 verstoße, ihm die streitige Leistung nicht zu gewähren, weil er in Deutschland wohne.
Laut Europäischem Gerichtshof kann hier kein Verstoß gegen die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vorliegen, da die streitige Entschädigungsleistung nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. Sie kann nämlich nicht als eine Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden, da sie sich nicht auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht. Von den dort erwähnten Zweigen der sozialen Sicherheit kämen im vorliegenden Fall allenfalls die Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Betracht. Eine Leistung ist jedoch nur dann eine „Leistung bei Arbeitslosigkeit", wenn sie den aufgrund der Arbeitslosigkeit verlorenen Arbeitslohn ersetzen soll und also für den Unterhalt des arbeitslosen Arbeitnehmers bestimmt ist. Dies ist bei einer einmaligen Entschädigungsleistung - wie der im Streit stehenden -, deren Zweck demjenigen einer Kündigungsentschädigung entspricht, und die zusätzlich zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit gewährt wird, nicht der Fall.
Die streitige Entschädigungsleistung ist jedoch als soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 anzusehen. Hierzu zählen alle Vergünstigungen, deren Gewährung in unauflöslichem Zusammenhang mit der objektiven Arbeitnehmereigenschaft der Berechtigten steht. Eine Leistung der fraglichen Art, deren Gewährung vom vorherigen Bestehen eines kürzlich beendeten Arbeitsverhältnisses abhängig ist, erfüllt diese Voraussetzung.
Für eine solche soziale Vergünstigung gilt nach ständiger Rechtssprechung, dass ein Mitgliedstaat ihre Gewährung nicht davon abhängig machen kann, dass der Begünstigte seinen Wohnsitz in diesem Staat hat. Eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, diskriminiert nämlich mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt. Dies trifft auf eine Wohnortvoraussetzung zu, deren Erfüllung für inländische Arbeitnehmer einfacher als für Arbeitnehmer anderer Mitgliedstaaten ist.
Das Urteil:
1. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung ist auf eine Entschädigungsregelung nicht anwendbar, nach der in der Landwirtschaft tätige Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, eine einmalige Leistung erhalten, deren Höhe sich ausschließlich nach dem Alter des Berechtigten richtet und die zurückzuzahlen ist, wenn er innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein Arbeitsverhältnis mit seinem früheren Arbeitgeber eingeht.
2. Eine einmalige Leistung, die Arbeitnehmern in der Landwirtschaft gewährt wird, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, ist eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
3. Ein Mitgliedstaat kann die Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht davon abhängig machen, daß der Begünstigte seinen Wohnsitz in diesem Staat hat.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-57/96: Meints