Qualifikation als Arbeitnehmer auch bei zeitlich kurz befristeter Beschäftigung möglich
Sofern Tätigkeit nicht völlig unbedeutend
(C - 413/01 vom 06.11.2003, Ninni-Orasche)
Der Fall:
Die mit einem Österreicher verheiratete italienische Staatsangehörige Franca Ninni-Orasche begab sich 1993 nach Österreich und übte dort 1995 eine auf zweieinhalb Monate befristete Beschäftigung als Kellnerin aus. Nach erfolglosen Bewerbungsbemühungen um eine neuerliche Tätigkeit begann sie 1996 ein Romanistikstudium an einer österreichischen Universität. Den hierfür erforderlichen Schulabschluss hatte sie kurz nach ihrer Kellnertätigkeit per Fernlehrgang in Italien erworben. Als sie die Gewährung einer Studienbeihilfe für ihr Romanistikstudium beantragte, wurde dies aufgrund österreichischen Rechts abgelehnt, wonach nur österreichische Staatsbürger sowie ihnen nach Gemeinschaftsrecht gleichgestellte Ausländer Studienbeihilfe erhalten.
Um eine Gleichstellung bejahen zu können, hätte die Kellnertätigkeit Frau Ninni-Orasche die Stellung einer Arbeitnehmerin verleihen müssen. Aufgrund der Kürze der Beschäftigung wurde dies bezweifelt und man argwöhnte, auch aufgrund der Gesamtumstände, dass die Arbeit ausschließlich Mittel zum Zwecke der Studienbeihilfeerlangung gewesen sein könne. Zudem wurde wegen der Befristung der Kellnertätigkeit in Frage gestellt, ob Frau Ninni-Orasche unfreiwillig arbeitslos geworden war, was nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für eine Studienförderung vorausgesetzt wird, wenn zwischen dem Gegenstand des Studiums und der zuvor ausgeübten Berufstätigkeit kein Zusammenhang besteht.
Laut Europäischem Gerichtshof kann auch eine Beschäftigung von kurzer Dauer die Arbeitnehmereigenschaft begründen. Umstände, die sich auf das Verhalten des Beschäftigten vor und nach der Beschäftigungszeit beziehen, dürfen für die Qualifikation als Arbeitnehmer keine Rolle spielen. Der Europäische Gerichtshof weist aber darauf hin, dass ein Missbrauch der Arbeitnehmereigenschaft nicht durch das Gemeinschaftsrecht gedeckt ist. Für die Beantwortung der Frage nach der Freiwilligkeit der Arbeitslosigkeit bei von vornherein befristeten Arbeitsverträgen sind immer die generellen Gepflogenheiten in dem Sektor der fraglichen Tätigkeit und die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.
Das Urteil:
1. Eine zeitlich befristete Beschäftigung von zweieinhalb Monaten, die ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ausübt, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, kann seine Arbeitnehmereigenschaft nach Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) begründen, sofern die ausgeübte unselbständige Tätigkeit nicht völlig untergeordnet und unwesentlich ist.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die erforderlichen tatsächlichen Prüfungen vorzunehmen, um zu beurteilen, ob dies in der bei ihm anhängig gemachten Rechtssache der Fall ist. Umstände aus der Zeit vor oder nach dem Beschäftigungszeitraum wie etwa die, dass der Betreffende
- erst einige Jahre nach seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat diese Beschäftigung aufgenommen hat,
- erst kurz nach Beendigung seines auf einen kurzen Zeitraum befristeten Beschäftigungsverhältnisses durch einen Schulabschluss in seinem Heimatland die Befähigung für den Zugang zu einem Universitätsstudium im Aufnahmemitgliedstaat erworben hat oder
- sich in zeitlichem Anschluss an das auf einen kurzen Zeitraum befristete Beschäftigungsverhältnis bis zur Aufnahme seines Studiums um eine neuerliche Beschäftigung bemüht hat, sind insoweit nicht erheblich.
2. Ein Gemeinschaftsbürger wie die Beschwerdeführerin ist, sofern er Wanderarbeitnehmer im Sinne von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) ist, nicht unbedingt allein deshalb im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes freiwillig arbeitslos, weil sein von vornherein befristeter Arbeitsvertrag endet.