Aufenthaltsrecht für Familienangehörige eines Arbeitnehmers
Freizügigkeitsvorschriften finden keine Anwendung, wenn der Arbeitnehmer sein Recht auf Freizügigkeit nie ausgeübt hat
(C-35 und 36/82 vom 27. Oktober 1982, Morsen)
Der Fall:
Frau Morson und Frau Jhanjan, beide Staatsangehörige der Republik Surinam, beantragten erfolglos eine Aufenthaltserlaubnis für die Niederlande, um sich bei ihrer Tochter bzw. ihrem Sohn, die die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen und für ihren Unterhalt aufkommen, niederzulassen. Die Kinder üben eine unselbständige Tätigkeit in den Niederlanden aus und sind zu keiner Zeit in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt gewesen.
Laut Europäischem Gerichtshof können sich die beiden Drittlandsangehörigen nicht aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Freizügigkeit auf ein von ihren arbeitnehmenden Kindern abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen. Da die Kinder ausschließlich in den Niederlanden beschäftigt gewesen sind, haben diese niemals das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt, so dass die diesbezüglichen Vorschriften vorliegend keine Anwendung finden können.
Das Urteil:
1. Artikel 117 Absatz 3 EWG-Vertrag1 ist dahin auszulegen, dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, nicht verpflichtet ist, dem Gerichtshof eine Auslegungsfrage im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels vorzulegen, wenn sich die Frage in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung stellt und die zu erlassende Entscheidung das Gericht, dem der Rechtsstreit danach in einem Hauptverfahren vorgelegt wird, nicht bindet, sofern es jeder Partei unbenommen bleibt - auch vor den Gerichten eines anderen Gerichtzweigs -, ein Hauptverfahren, in dem jene im summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage nach Artikel 117 bilden kann, entweder selbst einzuleiten oder diese Einleitung zu verlangen.
2. Das Gemeinschaftsrecht verbietet es einem Mitgliedstaat nicht, einem in Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft2 genannten Familienangehörigen eines im Hoheitsgebiet dieses Staates beschäftigten Arbeitnehmers, der niemals das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt hat, die Einreise oder den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn der Arbeitnehmer die Staatsangehörigkeit dieses Staates und der Familienangehörige diejenige eines Drittlandes besitzt.
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1 Jetzt Artikel 234 EG.
2 Siehe jetzt Artikel 7 Absatz 1 lit. d und Absatz 2 sowie Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 2004/38/EG.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen C-35 und 36/82: Morsen