Gewährung von Geburts- und Mutterschaftsbeihilfe
Wohnortvoraussetzungen sind unzulässig
(C-111/91 vom 10.03.1993, Kommission/Luxemburg)
Der Fall:
1991 erhob die Kommission der Europäischen Gemeinschaften Klage gegen das Großherzogtum Luxemburg, weil dieses für die Gewährung von Geburts- und Mutterschaftsbeihilfe Wohnortvoraussetzungen festgelegt hatte.
Die Geburtsbeihilfe wurde in drei Teilen gewährt, nämlich zum Teil vor der Geburt, zum Teil als eigentliche Geburtsbeihilfe und zum Teil nach der Geburt. Die Kommission beanstandete die für die Gewährung der beiden ersten Teile geltenden Voraussetzungen. Der erste Teil wurde gezahlt, nachdem sich die werdende Mutter der letzten der im Gesetz vorgesehenen ärztlichen Untersuchungen unterzogen hatte. Seine Zahlung setzte u. a. voraus, dass die werdende Mutter während eines Jahres vor der Geburt des Kindes ihren Wohnsitz im Großherzogtum gehabt hatte. Der zweite Teil der Geburtsbeihilfe wurde nach der Geburt des Kindes gezahlt. Dafür wurde u. a. vorausgesetzt, dass ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt seit einem Jahr seinen Wohnsitz im Großherzogtum gehabt haben musste.
Die Mutterschaftsbeihilfe wurde jeder Schwangeren und jeder Wöchnerin gezahlt, wenn sie während des ganzen Jahres vor dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs ihren Wohnsitz im Großherzogtum oder wenn ihr Ehegatte während der drei Jahre vor diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz in Luxemburg gehabt hatte.
Die Kommission vertrat die Auffassung, dass die Wohnortvoraussetzungen für die verschiedenen Personengruppen, die im Großherzogtum Luxemburg Freizügigkeit genössen, diskriminierenden Charakter hätten.
Die luxemburgische Regierung machte demgegenüber geltend, dass die streitigen Wohnortvoraussetzungen ebenso von den luxemburgischen Staatsbürgern erfüllt werden müssten wie von den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, weswegen sie nicht diskriminierend seien.
Laut Europäischem Gerichtshof kann dem Vorbringen der luxemburgischen Regierung nicht gefolgt werden. Die Europäischen Gleichbehandlungsvorschriften verbieten nämlich nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch versteckte Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Dies trifft auf die streitigen Wohnortvoraussetzungen zu. Diese können nämlich leichter von einer luxemburgischen Staatsbürgerin erfüllt werden als von den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats.
Das Urteil:
Das Großherzogtum Luxemburg hat dadurch seine Verpflichtungen aus Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/ 68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, aus Artikel 18 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/ 71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der kodifizierten Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2001/ 83 des Rates vom 2. Juni 1983 sowie aus Artikel 52 EWG-Vertrag1 verletzt, dass es für die Gewährung der Geburtsbeihilfe und der Mutterschaftsbeihilfe Wohnortvoraussetzungen festgelegt hat.
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1 Jetzt Artikel 43 EG.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-111/91: Kommission/Luxemburg