Gewährung von Leistungen, die das Existenzminimum garantieren, an Kinder von Wanderarbeitnehmern

Entscheidend ist bei Volljährigen, ob diese Unterhalt von den arbeitnehmenden Elternteilen erhalten
(C - 316/85 vom 18.07.1985, Lebon)

Der Fall:

Die französische Staatsangehörige Marie-Christine Lebon hatte in Courcelles (Belgien) bei ihrem Vater gewohnt, einem ebenfalls französischen Staatsangehörigen, der in Belgien eine Altersrente bezog. Frau Lebon war nicht erwerbstätig und beantragte im März 1983 nach einem Umzug nach Lüttich erfolglos die Gewährung des Existenzminimums nach belgischem Recht.

Gemäß dem Gemeinschaftsrecht hat ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Aufnahmemitgliedstaat Anspruch auf die gleichen sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.
Frau Lebon selbst ist jedoch im Gegensatz zu ihrem Vater nicht in Belgien erwerbstätig gewesen.

Laut Europäischem Gerichtshof können sich Kinder von ehemaligen Erwerbstätigen, denen von diesen kein Unterhalt mehr gewährt wird und die das 21. Lebensjahr vollendet haben, wenn sie selber nicht die Arbeitnehmereigenschaft haben, nicht auf das Gemeinschaftsrecht berufen, um Anspruch auf eine Sozialleistung des Aufnahmemitgliedstaats zu erheben, die allgemein das Existenzminimum garantiert. Denn diese Leistung stellt für den ehemals erwerbstätigen Elternteil keine soziale Vergünstigung dar, soweit er sein Kind tatsächlich nicht mehr unterstützt.

Das Urteil:

1. Die Verwandten in absteigender Linie, die mit einem Arbeitnehmer zusammengelebt haben, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt gewesen ist und dort verbleibt, nachdem ihm eine Altersrente bewilligt worden ist, behalten nicht den Anspruch auf Gleichbehandlung im Hinblick auf eine in den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehene Sozialleistung, die allgemein das Existenzminimum garantiert, wenn sie das 21. Lebensjahr vollendet haben, ihnen von dem Arbeitnehmer kein Unterhalt mehr gewährt wird und sie nicht die Arbeitnehmereigenschaft haben.

2. Die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, im Sinne des Artikels 10 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1612/681 ergibt sich aus einer tatsächlichen Situation - der Unterstützung durch den Arbeitnehmer -, ohne dass es erforderlich wäre, die Gründe für die Inanspruchnahme dieser Unterstützung zu ermitteln.

3. Die in Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 verankerte Gleichbehandlung hinsichtlich der sozialen und steuerlichen Vergünstigungen kommt nur Arbeitnehmern zugute, nicht dagegen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die zuwandern, um eine Beschäftigung zu suchen.

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1 Siehe jetzt Artikel 7 Absatz 1 und Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-316/85:
Centre Public d'Aide Sociale de Courcelles / Marie-Christine Lebon