Beihilfe für behinderte Familienangehörige von Arbeitnehmern
Freizügigkeitsregelungen eröffnen keinen Anspruch bei einem rein internen, auf einen Mitgliedstaat beschränkten Sachverhalt
(C-206/91, vom 16.12.1992, Poirrez)
Der Fall:
Ettien Koua Poirrez, Staatsangehöriger der Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste), war 1987 von Bernard Poirrez adoptiert worden. Sein Adoptivvater, ein französischer Staatsangehöriger, arbeitete und wohnte in Frankreich. Ettien Poirrez hatte dadurch jedoch nicht die französische Staatsangehörigkeit erworben.
Er beantragte die im französischen Recht vorgesehene Beihilfe für behinderte Erwachsene. Diese Beihilfe konnte Personen gewährt werden, die die französische oder die Staatsangehörigkeit eines Landes besaßen, das auf dem Gebiet der Gewährung von Beihilfen für behinderte Erwachsene ein Gegenseitigkeitsabkommen geschlossen hatte. Der Ratgeber für Beihilfeempfänger enthielt jedoch den Hinweis, dass die Beihilfe unter denselben Voraussetzungen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sowie deren Ehegatten und Unterhaltsberechtigten in auf- oder absteigender Linie gewährt werden könne.
Die französischen Behörden lehnten Herrn Poirrez' Antrag ab, weil die Côte d'Ivoire auf dem Gebiet der Beihilfen für behinderte Erwachsene kein Gegenseitigkeitsabkommen unterzeichnet habe. Herr Poirrez machte geltend, dass er als Adoptivsohn von Bernard Poirrez als Abkömmling eines Angehörigen eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft anzusehen sei. Er habe als solcher gemäß dem erwähnten Ratgeber für Beihilfeempfänger Anspruch auf die Beihilfe für behinderte Erwachsene. Die französischen Behörden machten demgegenüber geltend, dass sich der Ratgeber auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften über die Freizügigkeit von Wanderarbeitnehmern beziehe. Nur Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats seien, hätten Anspruch auf die fragliche Beihilfe.
Laut Europäischem Gerichtshof kann sich ein Familienangehöriger eines Arbeitnehmers mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats nicht auf das Gemeinschaftsrecht berufen, um auf eine den Wanderarbeitnehmern und ihren Familienangehörigen gewährte Vergünstigung der sozialen Sicherheit Anspruch zu erheben, wenn der Arbeitnehmer, zu dessen Familie er gehört, von dem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft nie Gebrauch gemacht hat.
Das Urteil:
Die Artikel 71 und 48 Absatz 22 EWG-Vertrag sind dahin auszulegen, dass sie es nicht ausschließen, dass die Gewährung einer Leistung wie einer in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenen Beihilfe für behinderte Erwachsene einem Familienangehörigen eines Gemeinschaftsangehörigen verweigert wird, der von dem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft nie Gebrauch gemacht hat.
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1 Jetzt Artikel 12 EG.
2 Jetzt Artikel 39 Absatz 2 EG.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-206/91: Poirrez