Prostituierte in Belgien

Prostitution rechtfertigt nicht die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis
(C-115 und 116/81 vom 18.05.1982, Adoui, Cornuaille)

Der Fall:

Den französischen Staatsangehörigen Rezguia Adoui und Domonique Cornuaille wurde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für das belgische Hoheitsgebiet mit der Begründung versagt, dass ihr Verhalten gegen die öffentliche Ordnung verstoße, weil sie Serviererinnen in einer in sittlicher Hinsicht bedenklichen Bar seien.
Prostitution ist in Belgien allerdings nicht verboten, lediglich die Ausnutzung der Prostitution durch Dritte und bestimmte Formen der Aufforderung zur Prostitution.

Laut Europäischem Gerichtshof kann ein Verhalten nicht als hinreichend schwerwiegend betrachtet werden, um im Gebiet eines Mitgliedstaats Beschränkungen der Einreise oder des Aufenthalts eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats zu rechtfertigen, wenn der erstgenannte Staat gegenüber dem gleichen Verhalten, das von eigenen Staatsangehörigen ausgeht, keine Zwangsmaßnahmen oder andere tatsächliche und effektive Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Verhaltens ergreift.

Das Urteil:

1. Ein Mitgliedstaat darf nicht aufgrund des in den Artikeln 481 und 562 EWG-Vertrag enthaltenen Vorbehalts der öffentlichen Ordnung Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats aus seinem Hoheitsgebiet entfernen oder ihnen die Einreise in sein Hoheitsgebiet verweigern wegen eines Verhaltens, das bei den eigenen Angehörigen des erstgenannten Staates keine Veranlassung zu Zwangsmaßnahmen oder zu anderen tatsächlichen und effektiven Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Verhaltens gibt.

2. Gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft dürfen bei Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vom Einzelfall losgelöste Erwägungen nicht entscheidend ins Gewicht fallen.

3. Jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat eine Arbeit suchen möchte, kann, wenn er vorher aus dem Hoheitsgebiet dieses Staates ausgewiesen worden ist, erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Wird ein solcher Antrag nach einer angemessenen Frist gestellt, so ist er von der zuständigen Verwaltungsbehörde des Aufnahmestaats zu prüfen, die insbesondere das Vorbringen des Betroffenen berücksichtigen muss, mit dem eine materielle Änderung der Umstände, die die erste Ausweisung gerechtfertigt hatten, nachgewiesen werden soll.

4. Die Mitteilung der zur Rechtfertigung einer Ausweisung oder der Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis geltend gemachten Gründe muss hinreichend detailliert und genau sein, um es dem Betroffenen zu ermöglichen, seine Interessen wahrzunehmen.

5. Das Gemeinschaftsrecht schreibt weder vor, dass die in Artikel 9 der Richtlinie 64/2213 genannte zuständige Stelle ein Gericht sein oder aus Richtern bestehen muss, noch, dass ihre Mitglieder für eine bestimmte Zeit ernannt werden müssen. Das Gemeinschaftsrecht verbietet nicht, dass die Mitglieder der Stelle aus dem Haushalt der Verwaltung, zu der die für den Erlass etwaiger Entscheidung zuständigen Stelle gehört, besoldet werden oder das das Sekretariat der zuständigen Stelle von einem zu derselben Verwaltung gehörenden Beamten geleitet wird.

6. Zwar schließt die Richtlinie 64/221 die unmittelbare Anrufung der zuständigen Stelle durch den Betroffenen nicht aus; sie schreibt diese aber auch nicht vor und lässt den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht die Wahl, sofern eine Anrufung gewährleistet ist, wenn der Betroffene sie beantragt hat.

7. Die Stellungnahme der zuständigen Stelle muss dem Betroffenen ordnungsgemäß mitgeteilt werden.

8. Der Betroffene muss sich vor der zuständigen Stelle unter den in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verfahrensvoraussetzungen verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen können. Diese Voraussetzungen dürfen für den Betroffenen nicht ungünstiger sein als die vor anderen gleichartigen nationalen Stellen geltenden Voraussetzungen.
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1 Jetzt Artikel 39 EG.
2 Jetzt Artikel 56 EG.
3 Siehe jetzt Artikel 31 der Richtlinie 2004/38/EG. (Mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2004/38/EG am 30. April 2006 ist die Richtlinie 64/221/EWG
gegenstandslos geworden.)

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen C-115 und 116/8: Adoui, Cornuaille