Assoziierungsabkommen EWG-Türkei
Strafrechtliche Verurteilung eines türkischen Staatsangehörigen hat nicht unbedingt den Verlust seines Aufenthaltsrechts zur Folge
(C-383/03 vom 07.07.2005, Dogan)
Der Fall:
Der türkische Staatsangehörige Ergül Dogan lebte seit ungefähr 27 Jahren in Österreich und war dort jahrelang ordnungsgemäß beschäftigt gewesen, als im Mai 2000 ein unbefristetes Verbot des Aufenthalts in Österreich gegen ihn erlassen wurde. Der diesbezügliche Bescheid stützte sich auf die 1998 erfolgte, strafrechtliche Verurteilung von Herrn Dogan zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Nach österreichischem Recht sind die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot erfüllt, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist.
Das mit dem Fall Dogan befasste österreichische Gericht stellte fest, dass Herr Dogan bis zu seiner Verhaftung nach dem Beschluss Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der EWG und der Türkei das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis gehabt habe, weil Herr Dogan länger als vier Jahre ununterbrochen eine ordnungsgemäße Beschäftigung in Österreich ausgeübt habe. Das Gericht fragte sich jedoch, ob Herr Dogan dieses Recht wegen seiner Inhaftierung verloren haben könnte.
Der Europäische Gerichtshof verwies zunächst darauf, dass die praktische Wirksamkeit des durch den Beschluss Nr. 1/80 gestatteten genannten Rechts zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraussetzt.
Dieses Aufenthaltsrecht und das Recht auf freien Zugang zu einer Beschäftigung
geht laut Europäischem Gerichtshof nicht verloren, weil der Betreffende während seiner - auch mehrjährigen - Inhaftierung keine Beschäftigung ausübt, wenn die Inhaftierung nicht die weitere Teilnahme des Betroffenen am Erwerbsleben ausschließt. Ansonsten können die genannten Rechte nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gemäß dem Beschluss Nr. 1/80 beschränkt werden.
Das Urteil:
Ein türkischer Staatsangehöriger, der nach Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem aufgrund des Abkommens über eine Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingesetzten Assoziationsrat erlassen wurde, ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis hat, verliert dieses Recht nicht deswegen, weil er während seiner - auch mehrjährigen - Inhaftierung keine Beschäftigung ausübt, wenn seine Abwesenheit vom regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats nur vorübergehend ist.
Die Rechte, die dem Betroffenen durch diese Bestimmung im Bereich der Beschäftigung und entsprechend im Bereich des Aufenthalts eingeräumt werden, können nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gemäß Artikel 14 Absatz 1 dieses Beschlusses oder aufgrund des Umstands beschränkt werden, dass der betreffende türkische Staatsangehörige den Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach seiner Freilassung eine neue Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu finden.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-383/03: Dogan