System der obligatorischen Registrierung in anderen Mitgliedstaaten ausgestellter Führerscheine
Registrierung ist nicht erforderlich, um die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten
(C-246/00 vom 10.07.2003, Kommission/Niederlande)
Der Fall:
Am 20. Juni 2000 verklagte die EG- Kommission das Königreich der Niederlande, da sie der Ansicht war, dass die Niederlande gegen ihre Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen nach der Gemeinschaftsrichtlinie über den Führerschein verstoßen haben, indem sie ein System der obligatorischen Registrierung von in den anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheinen ein Jahr, nachdem sich der Inhaber eines solchen Führerscheins in den Niederlanden niedergelassen habe, eingeführt und ein Registrierungsverfahren vorgesehen habe. Wurde der Führerschein registriert, entspricht dieser Zeitraum der dabei festgelegten Gültigkeitsdauer des Führerscheins in den Niederlanden. Wenn es hingegen an einer Registrierung fehlt, so beträgt die Gültigkeitsdauer vom Tag der Niederlassung des Inhabers in den Niederlanden ein Jahr. Wird dennoch ein Fahrzeug mit einem nicht mehr gültigen Führerschein oder einem Führerschein, der nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, geführt, so droht eine strafrechtliche oder verwaltungsrechtliche Strafe.
Laut Europäischem Gerichtshof sind die in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität anzuerkennen; die Mitgliedstaaten verfügten insofern nicht über einen Ermessensspielraum in Bezug auf Maßnahmen, die zu erlassen seien, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Daher sei die Registrierung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein als eine solche Formalität anzusehen, die gegen die Richtlinie über den Führerschein verstoße.
Das Urteil:
Das Königreich der Niederlande hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 1 Absatz 2 und Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c sowie aus dem Anhang III Nummer 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 96/47/EG des Rates vom 23. Juli 1996 geänderten Fassung verstoßen, dass es die Artikel 107 Absatz 1, 108 Absatz 1 Buchstabe h und 111 Absatz 1 Buchstabe a der Wegenverkeerswet 1994 (Gesetz über den Straßenverkehr) vom 21. April 1994 in der geänderten Fassung und Artikel 100 des Reglement Rijbewijzen (Verordnung über den Führerschein) vom 28. Mai 1996 in der durch die Verordnung vom 18. Juni 1996 geänderten Fassung sowie Artikel 109 Absatz 5 WVW 1994 in Verbindung mit den Artikeln 11, 28 und 38 des Reglement Rijbewijzen erlassen und beibehalten hat.
Die Pressemitteilung:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-246/00: Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich der Niederlande
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 61/03 vom 10. Juli 2003
Nach Auffassung des Gerichtshofes verstößt das niederländische Recht, das ein System der obligatorischen Registrierung in anderen Mitgliedstaaten ausgestellter Führerscheine nach der Niederlassung des Inhabers in den Niederlanden vorsieht, gegen das Gemeinschaftsrecht.
Diese Registrierung geht über das hinaus, was erforderlich ist, um die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten.
Mit der Gemeinschaftsrichtlinie über den Führerschein1 wurde der Grundsatz eingeführt, dass die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden. Begründet der Inhaber eines Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der den Führerschein ausgestellt hat, so kann dieser andere Mitgliedstaat seine einzelstaatlichen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Gültigkeitsdauer des Führerscheins, der ärztlichen Kontrolle und der steuerlichen Bestimmungen anwenden und auf dem Führerschein die für die Verwaltung unerlässlichen Angaben eintragen.
Nach niederländischem Recht muss der Führer eines Kraftfahrzeugs einen von den niederländischen Behörden ausgestellten Führerschein besitzen. Diese Verpflichtung gilt - für einen bestimmten Zeitraum - nicht für in den Niederlanden wohnende Führer eines Kraftfahrzeugs, die Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sind. Wurde der Führerschein registriert, entspricht dieser Zeitraum der dabei festgelegten Gültigkeitsdauer des Führerscheins in den Niederlanden; fehlt es an einer Registrierung, so beträgt er vom Tag der Niederlassung des Inhabers in den Niederlanden an ein Jahr. Beim Führen eines Fahrzeugs ohne Führerschein, mit einem nicht mehr gültigen Führerschein oder einem Führerschein, der nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, droht eine strafrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktion.
Die Kommission beantragt, festzustellen, dass die Niederlande gegen ihre Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen nach der Gemeinschaftsrichtlinie verstoßen haben, indem sie dieses obligatorische Verfahren der Registrierung in den anderen Mitgliedstaaten ausgestellter Führerscheine eingeführt haben und deren Gültigkeitsdauerausgehend vom Datum ihrer Ausstellung und nicht vom Datum der Niederlassung in den Niederlanden berechnen.
Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass die gegenseitige Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten ausgestellter Führerscheine ohne jede Formalität erfolgen müsse und die Mitgliedstaaten nicht über einen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen verfügten, die zu erlassen seien, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Sobald die Registrierung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins dadurch obligatorisch werde, dass dem Inhaber dieses Führerscheins eine Sanktion drohe, wenn er nach seiner Niederlassung ein Fahrzeug führe, ohne dass er seinen Führerschein habe registrieren lassen, sei diese Registrierung als eine solche Formalität anzusehen und verstoße demnach gegen die Richtlinie.
Nach Auffassung des Gerichtshofes darf die Anwendung einzelstaatlicher Rechtsvorschriften die Inanspruchnahme der Freizügigkeit und die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch die Gemeinschaftsangehörigen nicht behindern oder weniger attraktiv machen, und diese Maßnahmen müssen, falls sie dies gleichwohl bewirken, ohne Diskriminierung angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten Zwecks zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich ist.
Die niederländische Maßnahme, die unterschiedslos auf niederländische Staatsangehörige wie auf solche der anderen Mitgliedstaaten anwendbar sei, könne durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses in Bezug auf die Straßenverkehrssicherheit gerechtfertigt werden, und sie erscheine geeignet, die Verwirklichung des verfolgten Zwecks zu gewährleisten. Sie sei jedoch nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.
Erstens könnten die niederländischen Behörden bei Straßenverkehrskontrollen die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Gültigkeitsdauer der Führerscheine korrekt anwenden, indem sie zu dem Ausstellungsdatum, das auf dem in den Niederlanden nicht registrierten Führerschein genannt sei, zehn Jahre hinzurechneten.
Um den zuständigen Behörden die Prüfung zu ermöglichen, ob die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eingehalten worden seien, würde es zweitens genügen, die Inhaber in anderen Mitgliedstaaten ausgestellter Führerscheine über ihre sich aus dem nationalen Recht ergebenden Verpflichtungen in Kenntnis zu setzen, wenn sie die erforderlichen Schritte unternähmen, um sich in den Niederlanden niederzulassen, und die im Fall der Nichtbeachtung der betreffenden Bestimmungen vorgesehenen Sanktionen anzuwenden.
Was die Schwerfälligkeit des Registrierungsverfahrens betreffe, so müsse der Inhaber des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nach diesem Verfahren gegenüber den niederländischen Behörden den Nachweis dafür erbringen, dass er die in der Gemeinschaftsrichtlinie vorgesehenen Bedingungen für die Ausstellung erfüllt habe. Nach Auffassung des Gerichtshofes ist der Besitz eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins als ein solcher Nachweis anzusehen und verstößt der Aufnahmemitgliedstaat gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen, wenn er von diesem Inhaber einen erneuten Nachweis verlangt.
In Bezug auf die Gültigkeitsdauer eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins in den Niederlanden gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die für deren Berechnung und damit zur Feststellung des Datums, von dem an die Inhaber den Anforderungen gemäß den nationalen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats entsprechen müssten, gewählte Methode, wonach die Gültigkeit ab dem Tag der Ausstellung des betreffenden Führerscheins läuft, nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen angesehen werden könne.
_________________________________________________________________________1 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 (ABl. L 237, S. 1) in der durch die Richtlinie 96/47/EG des Rates vom 23. Juli 1996 (ABl. L 235, S. 1) geänderten Fassung.
Originaltext des Urteils:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-246/00: Kommission/Niederlande