Voraussetzungen für die Anerkennung des Aufenthaltsrechts
Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses nicht verpflichtend
(C - 215/03 vom 17.02.2005 , Oulane)
Der Fall:
Der französische Staatsangehörige Salah Oulane wurde am 3. Dezember 2001 wegen Verdachts des widerrechtlichen Aufenthalts von den niederländischen Behörden festgenommen. Beim Verhör erklärte Herr Oulane, er besäße die französische Staatsbürgerschaft, konnte sich aber nicht ausweisen. Die niederländischen Behörden nahmen ihn daraufhin in Abschiebungshaft. Am 7. Dezember 2001 legte Herr Oulane einen französischen Personalausweis vor. Daraufhin wurde er aus der Haft entlassen. Am 27. Juli 2002 wurde Herr Oulane in einem öffentlich nicht zugänglichen Gütertunnel eines Rotterdamer Bahnhofs von der Bahnhofspolizei festgenommen. Da er sich nicht ausweisen konnte, wurde er in Abschiebehaft genommen. Am 2. August wurde Herr Oulane abgeschoben.
Laut Europäischem Gerichtshof ist das Aufenthaltsrecht eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats nicht davon abhängig, dass dieser einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegen kann. Eine Abschiebehaft ist in diesem Fall nicht zulässig. Allerdings ist es Sache der Angehörigen eines Mitgliedstaates, die Nachweise zu erbringen, dass ihr Aufenthalt ordnungsgemäß ist.
Das Urteil:
Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung des Aufenthaltsrechts eines Empfängers von Dienstleistungen, der Angehöriger eines anderen Mitgliedstaat ist, nicht davon abhängig machen kann, dass der Betroffene einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt, sofern seine Identität und seine Staatsangehörigkeit zweifelsfrei mit anderen Mitteln nachgewiesen werden können.
Artikel 49 EG steht dem entgegen, dass in einem Mitgliedstaat die Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten der Verpflichtung unterworfen werden, zum Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorzulegen, wenn in diesem Mitgliedstaat für die eigenen Staatsangehörigen keine allgemeine Ausweispflicht gilt, sondern diesen erlaubt ist, ihre Identität mit jedem nach nationalem Recht zulässigen Mittel nachzuweisen.
Eine Maßnahme der Inhaftnahme eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats zum Zweck der Abschiebung, die wegen der unterbliebenen Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses – auch ohne Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung – angeordnet wird, stellt ein nicht gerechtfertigtes Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar und verstößt damit gegen Artikel 49 EG.
Es ist Sache der Angehörigen eines Mitgliedstaats, die sich als Empfänger von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, die Nachweise dafür zu erbringen, dass ihr Aufenthalt ordnungsgemäß ist. In Ermangelung solcher Nachweise kann der Aufnahmemitgliedstaat unter Beachtung der vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen ihre Abschiebung anordnen.