Recht auf Krankenhausbehandlung im EU-Ausland?

Ist die Wartezeit auf eine OP im Wohnland gesundheitlich nicht vertretbar, müssen die Kosten für Auslandsoperationen übernommen werden

Ich arbeite in Großbritannien als Verkäuferin. Wegen eines Verkehrsunfalls brauche ich ein neues Fingergelenk. Wartezeit für die Operation: ein Jahr. In Deutschland ginge das sofort. Dennoch weigert sich der NHS, die Operation zu genehmigen.

Die Verweigerung einer Kostenübernahme von einer Auslandsoperation verstößt nur gegen europäisches Recht, wenn die Wartezeit auf die OP im Wohnland des Patienten aus gesundheitlichen Gründen nicht vertretbar ist. Der Europäische Gerichtshof hat 2006 entschieden, dass Ihnen eine Krankenhausbehandlung im europäischen Ausland genehmigt werden muss, wenn die OP in Großbritannien nicht rechtzeitig durchgeführt werden kann. Der National Health Care braucht Ihnen aber nur die Kosten in der Höhe erstatten, die Ihre Behandlung in Großbritannien gekostet hätte. Ihre Reise- und gegebenenfalls Unterbringungskosten werden nur übernommen, wenn der NHC diese bei einer Operation in einer anderen Stadt in Großbritannien auch zahlen würde.

Nach einer europäischen Verordnung wird der NHS nur die Kosten Ihrer Auslandsoperation übernehmen, wenn in Großbritannien Ihre Operation nicht im üblichen Zeitraum stattfinden kann. Das bedeutet der NHS zahlt für Ihre Auslandsbehandlung, wenn Ihre Wartezeit über das in Großbritannien normale eine Jahr hinausgeht. Der Europäische Gerichtshof hat jetzt aber entschieden, dass der NHS auch unter bestimmten anderen Umständen Ihre Auslandsoperation übernehmen muss. Der Hinweis, dass in Großbritannien ein Jahr Wartezeit für eine OP üblich sei, reicht nicht als Begründung nicht mehr unbedingt aus.

Denn der NHS darf die Genehmigung Ihrer Auslandoperation nicht mehr verweigern, wenn Ihr Gesundheitszustand diese übliche Wartezeit nicht zulässt. Dafür müssen Sie sich einer medizinischen Untersuchung unterziehen, die Ihren Gesundheitszustand, Ihre Vorgeschichte, die Entwicklung Ihrer Krankheit, das Ausmaß Ihrer Schmerzen und die Art Ihrer Behinderung berücksichtigt. Wenn der NHC Ihnen nach dieser Beurteilung ein Jahr Wartezeit zumutet, werden die Kosten für Ihre Auslandsbehandlung nicht übernommen. Wenn sich dann Ihr Gesundheitszustand verschlechtert, muss der Wartezeitraum bis zur OP wieder überprüft werden. Dann wird die Wartezeit eventuell verkürzt und deshalb müssen nach Ansicht des Gerichtes die Wartezeiten in Großbritannien flexibler gestaltet werden. Wenn die Beurteilung ergibt, dass die übliche Wartezeit Ihrem Gesundheitszustand nicht zumutbar ist und eine kürzere Wartezeit nicht möglich ist, muss der NHS Ihnen die Auslandsbehandlung bezahlen.

Dann stellt Ihnen der NHS das Formular E112 aus, als Nachweis, dass er die entstandenen Kosten übernimmt. Sie werden in Deutschland operiert und die Berechnung der Kosten erfolgt nach deutschem Recht. Deutsche Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung müssen bei einer stationären Behandlung 10 Euro pro Tag bezahlen, maximal jedoch für 28 Tage im Kalenderjahr. In Großbritannien wäre Ihre Operation für Sie zuzahlungsfrei gewesen. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass es für Sie keinen Unterschied machen darf, ob Sie sich in Großbritannien oder Deutschland behandeln lassen, wenn Ihnen die ausländische OP genehmigt wurde. Deshalb sollten Sie darauf drängen, dass der NHS Ihre deutschen Zuzahlungskosten neben den Behandlungskosten ebenfalls bezahlt.

Wenn jedoch die Kosten für Ihre Behandlung in Deutschland höher sind, als die Kosten, die in Großbritannien entstanden wären, muss der NHS Ihnen die Differenz nicht erstatten. Er ersetzt nur den Betrag, den Ihre Operation in Ihrer Heimat gekostet hätte. Wenn in Großbritannien keine Reise- und Unterbringungskosten für eine Behandlung in einer anderen Stadt gezahlt werden, ersetzt Ihnen der NHS die Reise- und Unterbringungskosten in Deutschland auch nicht.

In dem verhandelten Fall vor dem Europäischen Gerichtshof hatte der NHS eine Frau mit Hüftproblemen als Routinefall eingestuft. Sie hätte ein Jahr auf den Einsatz eines neuen Hüftgelenks warten müssen. Die Kostenübernahme für eine sofortige OP im Ausland wurde abgelehnt. Nach einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands wurde eine OP in drei bis vier Monaten geplant. Wieder wurde eine Kostenübernahme für eine sofortige Auslandsoperation abgelehnt. Die Frau ließ sich dann auf eigene Kosten in Frankreich ein neues Gelenk einsetzen und wollte die Erstattung der Kosten einklagen. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die Kosten der Auslandsoperation vom NHS übernommen werden müssen, wenn die Wartezeit in Großbritannien wegen des Gesundheitszustandes nicht mehr vertretbar ist. Dieses entspricht der Verordnung 1408/71. Ob die Wartezeit für den Einsatz einer neuen Hüfte in diesem konkreten Fall vertretbar gewesen wäre oder nicht, muss das britische Gericht klären.

Weitere Informationen:

National Health Service

Es gibt leider keinen unabhängigen Krankenhausführer für Deutschland.

Rechtstexte:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern

Urteil C-372/04 des Europäischen Gerichtshofes